Nachruf

05. April 2023

Karl Büchler-Mattmann

Karl Büchler-Mattmann
Hitzkirch

Wenn ich an das Leben von unserem Papi denke, kommt mir ein Begriff aus der benediktinischen Tradition in den Sinn: die stabilitas loci, die Ortsbeständigkeit. Denn wenn man vom Leben von Karl Büchler erzählen will, muss man von Hitzkirch erzählen, von dem Ort, wo er sich sein Leben eingerichtet und sich eine Heimat aufgebaut hat. Man muss zuerst von der Cornelistrasse 20 erzählen, vom originellen Haus mit dem grossen Garten, das unsere Eltern als junge Familie gebaut haben, wo Papi mehr als sein halbes Leben gewohnt hat und wir drei Kinder Luzia, Michael und ich unsere Schritte ins Leben gemacht haben. Man muss vom Lehrerinnen- und Lehrerseminar erzählen, wo er praktisch sein gesamtes Berufsleben Mathematik und Informatik unterrichtet hat. Zusammen mit einer ganzen Gruppe von Kolleginnen und Kollegen hat er das Semi zu einem Ort gemacht, an dem es ihnen und, so denke ich, auch den Schülerinnen und Schülern wohl war. Hitzkirch war auch der Ort, wo er in der Pfarrei ein offenes, grosszügiges Christentum leben konnte. Es war der Ort, wo er Kultur, vor allem die Musik, genossen und sie selbst mitgestaltet hat, als Sänger im Kirchenchor und als Geiger in diversen Orchestern. Und mit all dem verbunden: Hitzkirch war der Ort der vielen Freundinnen und Freunde, der guten Nachbarinnen und Nachbarn. Hier war Papi eingebettet in eine liebende Umgebung und hat selbst dazu beigetragen, dass diese Umgebung liebend und liebevoll wurde.

Wenig von dem allen war für den kleinen Karl vorgezeichnet. Seine Kindheit hat er nicht als glücklich bezeichnet. Er ist in Herisau am 11. April 1942 als mittleres von fünf Kindern geboren und in einfachen, strengen Verhältnissen aufgewachsen. Karl wusste lange nicht so recht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Aber an der Sek hatte er einen Berufswunsch: Missionar. Ein Lehrer und Mentor empfahl ihm die Stiftsschule Engelberg, weil das dortige Kloster eine Niederlassung hatte in Kamerun. Also zog Karl nach der Sek nach Engelberg und trat nach der Matura wie geplant ins Noviziat ein. Vier Jahre lebte er als Benediktiner, merkte aber schon bald, dass das nicht sein Weg war. Er erfüllte seine zeitlichen Gelübde, dann trat er aus dem Kloster aus. Der Kontakt zu Engelberg riss aber nicht ab, denn unsere ganze Kindheit und Jugend verbrachten wir dort wandernd die Sommerferien.

Sein neuer Berufswunsch war Lehrer, und er zog weit weg nach Freiburg, um Mathematik zu studieren. Die Freiburger Studienzeit war in den Erzählungen unserer Eltern immer eine ganz mythische Zeit, eine Zeit grosser Freundschaften und rauschender Feste, viele davon bei den Goten, seiner Studentenverbindung. An einem Gotenfest hat er Helene Mattmann kennengelernt, und das war offenbar sofort eine klare Sache, denn anderthalb Jahre später waren sie schon verheiratet.

Nach einem Jahr als junges Ehepaar in Genf zogen unsere Eltern dann nach Hitzkirch, wo am Semi eine Stelle als Mathematiklehrer ausgeschrieben war. Und so begann 1974 Papis Einrichten an einem Ort, der ihm Heimat werden sollte für den Rest seines Lebens. Der suchende, manchmal unsichere Bub und junge Mann hatte gefunden, was er mit seinem Leben anfangen sollte.

Er hat es geschafft – und das ist keine geringe Leistung –, nicht die gleichen Muster weiterzugeben, die er als Kind erlebt hatte. Er war ein präsenter und verlässlicher Vater, immer geduldig gegenüber allen; er hat sich interessiert für das, was wir zu erzählen hatten, und wir waren bei ihm fraglos angenommen. Dabei war er oft so etwas wie der ruhende Pol in unserer Familie, und wenn wir anderen manchmal schnell und hektisch waren, blieb er bedächtig und überlegt.

Es war ihm vergönnt, mit offenem Herzen für alles Schöne in Natur und Kultur seine Pensionierung zu genies­sen. Im Dolderhaus in Beromünster fand er eine neue intellektuelle Herausforderung. Der Austausch mit seiner Familie, den Kindern und neu auch den Grosskindern und seinen Freunden, blieben wichtig. Nach 44 Jahren ist ihm und Mami ein fast schwereloser Auszug aus dem Haus und der Umzug in die neue Wohnung an der Alten Landstrasse geglückt, die eine letzte und sehr geliebte Heimat wurde. Der Krebs hat seine Lebensqualität und seinen Radius immer mehr eingeschränkt, zunächst nur langsam, am Schluss dann ganz brüsk. Als letztes Geschenk hat er uns die Zeit gegeben, von ihm Abschied nehmen zu können. Am 31. Januar 2023 hat er an einem allerletzten schönen Ort, im Hospiz Zentralschweiz, in aller Ruhe und ohne Schmerzen sein Leben abschliessen können.

Karl Büchler ist nicht gross in der Welt herumgekommen. Er war nicht berühmt und wird nicht in den Geschichtsbüchern stehen. Aber er war seiner Familie ein guter Ehemann und Vater, den Kollegen ein guter Kollege, den Freunden ein guter Freund. Er hat Geborgenheit geschaffen für die Menschen, die ihm wichtig waren, und wir hoffen ihn jetzt geborgen in Gottes Hand.

Georg Büchler