Nachruf

23. August 2017

Marie Moser

Hitzkirch/Altwis

Wer über Altwis mehr wissen wollte, wer in Erfahrung bringen wollte, wie die Menschen dort in früheren Jahren gelebt und wie sie ihr Dorfleben gestaltet haben, der war bei Marie Moser an der richtigen Adresse. Ab den Dreissigerjahren des vergangenen Jahrhunderts kannte sie alle und jeden. Und sie konnte wunderbar erzählen – wie das schon ihre Mutter Marie Moser-Scherer, im «Rössli» aufgewachsen, tun konnte. So war Marie Moser für die vor einem Jahr erschienene «Chronik Altwis» eine unschätzbare Zeitzeugin. Wenn der Korb der Erinnerungen mal geöffnet war, liess er sich kaum mehr schliessen.

Marie hat aber nicht nur über andere erzählt, sondern ebenso offen über ihr eigenes Leben. «Ich wurde am 11. Mai 1923 in Altwis geboren», schrieb sie im kurzen, eigenhändig verfassten Lebenslauf. «Behütet von lieben, gütigen Eltern durfte ich mit den beiden Brüdern Xaver und Robert eine frohe, glückliche Jugend verleben. Es folgten helle und dunkle Zeiten, aber in allen Situationen dufte ich immer wieder die Vorsehung und Güte Gottes erfahren.» In der Tat: Wer das Glück hatte, bei der Familie des Gemeindepräsidenten Xaver und Marie Moser-Scherer ein- und auszugehen, hat eine ungezwungene, heitere Stimmung erlebt – bei allen Sorgen, die es auch hier gab.

Nach Volks- und Sekundarschule war für einige Jahre Maries Mithilfe auf dem Hof und im Haushalt gefragt, vor allem von Frühling bis Herbst. Dazwischen gab es die Möglichkeit, eine Haushaltungsschule zu besuchen, einmal sogar einen Kurs bei Frei’s Handelsschule in Luzern, mit Stenografie und Maschinenschreiben.
Als die Zeit kam, die Weichen fürs Leben ausserhalb des Elternhauses zu stellen, zögerte Marie nicht lange. Sie entschied sich, nach Sardinien zu fahren und dort in einer Unternehmerfamilie mit drei Kindern eine Stelle als Kindermädchen anzutreten. Sie blieb zwei Jahre und hatte es immer gut, wie sie später oft erzählte. Sie liebte die Kinder und die Kinder liebten sie. Und sie genoss das Vertrauen der Eltern – so sehr, dass sie eines der Kinder in die Ferien nach Altwis mitnehmen durfte. Doch Marie hatte eine Sorge: Der Lohn war klein, eine Altersvorsorge gab es nicht. Sie fragte sich, was denn werden sollte, wenn sie nicht mehr als Kindermädchen gefragt war. Sie entschloss sich heimzukehren.

Für eine Weile besorgte sie in Luzern den Haushalt zweier Priester und Psychologen. Doch das befriedigte sie nicht. Sie suchte eine neue Aufgabe und fand diese dank glücklicher Fügung in der Familie eines Mitarbeiters der Schweizer Botschaft in Paris. Nach einem Jahr war aber auch diese Phase zu Ende. Erneut stand Marie vor der Frage: Wie weiter? Eine Freundin wies auf ein Inserat der von Moos’schen Eisenwerke in Emmenbrücke hin: «Gesucht eine junge kaufmännische Angestellte für Büro und Sekretariat.» Marie zögerte. Ihr Schulsack sei zu schmal, meinte sie. Sie habe nichts vorzuweisen. Doch die Freundin drängte: «Nimm doch einfach das Schulzeugnis mit!» Denn das sah gut aus.

Endlich meldete sie sich – und wurde zu einem Gespräch mit dem Finanzdirektor aufgeboten. Es klappte auf Anhieb. Maries Mut hatte sich gelohnt, sie bekam die Stelle – und blieb 21 Jahre bei der Firma.

1983 erfolgte die vorzeitige Pensionierung. Marie kehrte zurück ins Dorf. Die Eltern brauchten Pflege. Wie selbstverständlich übernahm Marie diese Aufgabe. Vater Xaver lebte noch fünf, Mutter Marie zehn Jahre. Sie starb 1993 mit 97 Jahren. Und Marie? Sie bezog in Hitzkirch eine Alterswohnung. Hier fühlte sie sich wie zu Hause. Bis vor wenigen Jahren fuhr sie im Sommer und im Herbst nach Brig, zu ihrer Cousine Sr. Cornelia Spieler im Kloster der Ursulinen. Für sie waren das immer besondere Wochen, wie sie oft betonte.

Marie Moser – eine Frohnatur, ein Mensch voller Optimismus, die ihrem Leben bei allen Widerwärtigkeiten so viel Positives abgewinnen konnte. Am 27. Juni dieses Jahres durfte sie friedlich einschlafen, sie lebt nun in einer ganz anderen Welt.

Alois Hartmann