«Eine Intensivstation ist in Wolhusen nicht erforderlich»

Das Leistungsangebot des neuen Luzerner Kantonsspitals Wolhusen sorgt seit längerem für viel Gesprächsstoff und kontroverse Diskussionen. Jetzt hat der Luzerner Regierungsrat entschieden, wie dieses aus seiner Sicht in Zukunft aussehen soll. Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf (die Mitte) erklärt die künftigen Schwerpunkte und spricht auch über die Situation beim Thema Intensivpflegestationen sowie über das Zielbild beim neuen Spital.

Der Luzerner Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf (Mitte). Foto Keystone
 

Guido Graf, der Verein «Pro Spital Wolhusen» kämpft gegen einen befürchteten Leistungsabbau beim neuen Spital Wolhusen. Es gibt auch Stimmen nach dem Motto: «Je mehr Leistungen entfernt werden, desto weniger attraktiv ist ein Spital». Was sagt der Luzerner Gesundheitsdirektor dazu?
Guido Graf: Die Bevölkerung in der Region wird nach wie vor eine umfangreiche medizinische Versorgung rund um die Uhr haben. Beim geplanten Spitalneubau Wolhusen handelt es sich also viel mehr um einen Um-bau und nicht um einen Ab-bau.

Sind solche Befürchtungen also völlig unbegründet?
Für den Regierungsrat ist es selbstverständlich, dass die Bevölkerung im ganzen Kanton – also auch auf der Landschaft – rund um die Uhr eine qualitativ hochstehende und zeitnahe medizinische Versorgung haben muss. Es wäre aber falsch, beim Neubau die Rahmenbedingungen nicht zu berücksichtigen, die sich in den letzten Jahren zum Teil massiv verändert haben und in Zukunft noch stark verändern werden. Auch hier gilt, was ein griechischer Philosoph vor mehr als 2000 Jahren einmal sagte: «Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.»

Von welchen Rahmenbedingungen reden wir da?
Zum einen ist das der Fachkräftemangel, der noch weiter zunehmen wird. Dies hat beispielsweise bei den Hausärzten schon zu grossen Herausforderungen geführt. Dann muss der medizinische Fortschritt erwähnt werden und last but not least reden wir bei den Gesundheitskosten in der Schweiz von einem jährlichen Betrag von rund 90 Milliarden Franken, oder zirka 10›000 Franken pro Jahr pro Person. Und bis etwa 2045 werden sich diese Summen wohl verdoppeln. Die Spitäler sind einem enormen Preis- und Kostendruck ausgesetzt. Dieses Kostenwachstum soll möglichst gedämpft werden.

Heisst das: Unter Berücksichtigung dieser Faktoren müssen Sie Ihren Fokus auch auf eine einheitliche Betrachtung der LUKS-Gruppe richten?
Es ist aus erwähnten Gründen enorm wichtig, dass das Angebot in Wolhusen und Sursee innerhalb der LUKS-Gruppe koordiniert wird. Das bedingt unter anderem auch, dass nebst der Grundversorgung nicht jedes Spital möglichst viel anbietet, sondern Schwerpunkte gebildet werden. Das ist nicht nur kostengünstiger, sondern erhöht ebenfalls die Qualität und trägt dem Fachkräftemangel Rechnung.

In diesem Zusammenhang verlangt die Motion «Bernhard Steiner», dass an den Spitalstandorten Wolhusen und Sursee die bisherigen Leistungen wie bisher angeboten werden.
Ich verstehe, dass Veränderungen im medizinischen Leistungsangebot eines Spitals immer auch Ängste mit sich bringen und ein hochemotionales Thema sind. Dass sich die Bevölkerung stark in die Diskussionen einbringt, ist aber auch gut und eine Stärke unserer Demokratie.

Aber?
Die klare Meinung der Regierung und übrigens auch die von sehr vielen Fachleuten ist, dass es falsch wäre, das alte Spital in Wolhusen einfach neu zu bauen. Wir müssen die Chance nutzen, Wolhusen auf die Zukunft auszurichten. Vor allem wäre es falsch und für den Regierungsrat nicht sinnvoll und zudem gefährlich, das in der Motion geforderte Maximalangebot noch im Gesetz zu zementieren.

Weshalb?
Weil konsequenterweise diese im Gesetz genannten Disziplinen dann auch in Wolhusen und Sursee angeboten werden müssten, wenn zum Beispiel nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen, um sie an allen drei Standorten – inklusive Luzern – anbieten zu können. Im schlimmsten Fall müssten dann zum Beispiel bestimmte Operationen, bei denen es immer einen IPS-Aufenthalt braucht, wie etwa bei Herzoperationen, im Zentrumsspital verschoben oder gar abgesagt werden.

Wie würde sich ein Festschreiben ins Gesetz auf die Kosten auswirken?
Falls das mit der Motion verlangte Leistungsspektrum gesetzlich festgeschrieben würde, müsste konsequenterweise gleichzeitig dort festgehalten werden, dass der Kanton das dadurch entstandene Defizit trägt.

Und wie hoch wäre dieses Defizit?
Wir reden von nicht gedeckten Vorhalteleistungen für die Aufrechterhaltung des Spitalbetriebs in Wolhusen von rund 10 Millionen Franken jährlich, inklusive die höheren Anlagenutzungskosten im neuen Gebäude. Dabei müsste auch geprüft werden, ob diese langfristige finanzielle Verpflichtung dem obligatorischen Referendum unterliegt. Wobei ich ebenfalls sage: Will man eine Vorlage versenken, gibt es dazu zwei Rezepte, die praktisch immer funktionieren: Man kann das Fuder überladen oder die Vorlage möglichst lange hinauszögern. Mit der Motion ist man drauf und dran gleich beides zu tun.

Wie hoch würde das Defizit ausfallen, wenn man auf das Maximalangebot verzichtet?
So käme man auf sechs bis acht Millionen Franken pro Jahr. Unter der Annahme der Kantonsrat genehmigt das Budget, ist die Regierung bereit, aus regionalpolitischen Gründen im Sinne des service public für die Luzerner Landschaft dieses Defizit zu genehmigen.

Welche Alternativlösung, anstelle eines Festschreibens in das Gesetz, sieht die Regierung?
Die Regierung schlägt vor, das Leistungsangebot im LUKS Wolhusen, Sursee und Luzern nicht im Gesetz, sondern im Rahmen der regelmässigen Versorgungsplanung und in engem Austausch mit den Netzwerkpartnern- das heisst: der Hausärzteschaft, der Spitex sowie den Alters- und Pflegeheimen - aus der jeweiligen Region zu koordinieren und zu definieren und den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen – so sieht es auch das kantonale Gesundheitsgesetz vor. Und das Parlament soll sich dazu jeweils ebenfalls äussern können. Der Planungsbericht erscheint alle sechs Jahre.

In Wolhusen ist auch künftig während 24 Stunden ein fachärztlich geleiteter Notfalldienst gewährleistet. 

Guido Graf

Gesundheitsdirektor Kanton Luzern

Das Gynäkologie-Angebot, welches reduziert werden sollte, bleibt wie bisher. Sie sagen: Das sei politisch unbestritten. Heisst das, die Politik setzte sich hier gegen den Spitalrat durch?
Die Regierung hat vor gut einem Jahr gesagt, dass die Geburtshilfe in Wolhusen weiterhin angeboten werden soll. Ein bei einer Expertin in Auftrag gegebenes unabhängiges Gutachten kam zum Schluss, dass am Standort Wolhusen die volle Geburtshilfe angeboten werden soll.

Deshalb der Status quo?
Aufgrund dessen hat sich der Regierungsrat entschieden, dass weiterhin die volle Geburtshilfe mit dem entsprechenden 24-Stundenbetrieb angeboten werden soll, da die Sicherheit von Mutter und Kind bei ausschliesslich hebammengeleiteten Geburten nicht gewährleistet werden kann.

Welche Rolle spielt mit Blick auf Wolhusen die Ambulantisierung der Medizin?
Das ist ein Mega-Trend, den wir bei der Planung der Spitalversorgung berücksichtigen müssen. Und diese Verschiebung vom stationären in den ambulanten Bereich nimmt weiter zu. Zukunftsgerichtete Spitäler bieten daher möglichst ein breit gefächertes Angebot in der ambulanten Diagnostik und Behandlung an. Wobei: Im Vergleich zum Ausland hat die Schweiz immer noch grossen Nachholbedarf.

Sie reden beim neuen Spital Wolhusen von einem Zielbild. Was ist darunter zu verstehen?
Das Zielbild soll die Richtung der Entwicklung skizzieren. Grob gesagt sieht sie wie folgt aus: stationäre und ambulante Grundversorgung mit total vier OP’s, bisher verfügte Wolhusen über deren drei. Weiter werden die Orthopädie und die orthopädische Rehabilitation Schwerpunkte bilden.

Wie sieht es bei der Anzahl Betten aus – wie wichtig ist hier die Flexibilität?
Bei den Betten gehen wir von einem Zielbild von 80 aus. Davon sind zirka 20 Betten für Behandlungen und Eingriffe im Bereich Grundversorgung vorgesehen, rund 20 Betten für orthopädische Eingriffe und etwa 40 Betten für die Rehabilitation. Das ist, wie gesagt, eine Richtgrösse. Wichtig ist, dass das Angebot jeweils auf die laufende Entwicklung angepasst werden kann. Der Neubau lässt diese Flexibilität zu. Dafür sind unter anderem nur Einzelzimmer vorgesehen und bei Bedarf wäre eine Aufstockung mit 20 zusätzlichen Betten möglich.

Der 24-Stunden-Notfall-Dienst soll ebenfalls in Wolhusen bleiben.
Ganz klar ja. In Wolhusen ist auch künftig während 24 Stunden ein fachärztlich geleiteter Notfalldienst gewährleistet und der Notfall- und Rettungsdienst wird gegenüber heute ausgebaut.

Zu diesem Ausbau gehört ebenfalls eine Rega-Basis im Entlebuch. Hier gibt es allerdings Stimmen, die befürchten, dass dadurch Patienten anstatt nach Wolhusen, direkt nach Luzern geflogen werden – und so das Spital Wolhusen «aussen vor» geraten könnte. Was sagen Sie dazu?
Vorab muss ich sagen: Es ist mir schleierhaft, welches Interesse das LUKS haben sollte, Patienten nach Luzern zu fliegen, wenn sie ebenso gut in Wolhusen behandelt werden können. Das LUKS hat als Unternehmen ein grosses Interesse, dass Leistungen möglichst qualitativ gut und kosteneffizient erbracht werden. Bei einem schweren Herzinfarkt ist es aber bereits heute selbstverständlich, dass der Patient nach Luzern gefahren oder geflogen wird. Bei einer Rettung gilt grundsätzlich das «Next-Best-Prinzip.»

In Wolhusen ist künftig allerdings keine Intensivpflegestation mehr vorgesehen. Wo liegen die Gründe für diesen Entscheid?  
Eine IPS ist mit technisch hochkomplexen Geräten ausgerüstet und gewährleistet eine engmaschige Betreuung durch spezialisierte Teams. Intensivstationen sind also sehr personal- und kostenintensiv. Zudem müssen für die Zertifizierung mindestens sechs Betten betrieben werden, die es in Wolhusen bereits heute so nicht mehr braucht, weil die meisten spezialisierten Operationen mit einer anschliessenden IPS-Betreuung in Luzern durchgeführt werden. Zudem macht es der Fachkräftemangel anspruchsvoll, langfristig genügend Personal für den Betrieb, insbesondere für drei Standorte, zu rekrutieren.

Heisst das, der Betrieb einer IPS in Wolhusen ist aus personellen und finanziellen Überlegungen schlicht nicht mehr zu realisieren?
Eine Intensivstation ist am Standort Wolhusen aufgrund des Leistungsangebots und des schweizweit angewandten Zürcher Spitalplanungs-Leistungsgruppen-Konzepts gar nicht erforderlich. Das wird auch von verschiedenen Fachärzten klar bestätigt. Ich gehe davon aus, dass es in Wolhusen eine Intermediate Care (IMC) braucht, also eine Station als Bindeglied zwischen Intensiv- und Normalstation.

Wie sieht es mit einer IPS in Sursee, beim zweiten Spital auf der Luzerner Landschaft aus?
Es ist unbestritten, dass es auf der Landschaft eine IPS in einem Akutspital braucht. Aufgrund der deutlich grösseren Bevölkerungsdichte und des Bevölkerungswachstums in der Region muss diese am Standort Sursee geführt werden. Das ist aber nur möglich, wenn die zur Verfügung stehenden Kompetenzen und Kapazitäten konzentriert werden.

In Wolhusen zeigt die Planung, dass die Orthopädie künftig, verbunden mit der Rehabilitation, den Schwerpunkt bilden wird. Wird dieser Standort in Bezug auf die medizinische Grundversorgung dadurch nicht zurückgestuft?
Nein – wie gesagt: Es ist ein Umbau und kein Abbau. Dazu gehört auch, dass Schwerpunkte gebildet werden – und zwar jeweils für die ganze Spitalgruppe. Wir müssen mit der Zeit gehen und für die Zukunft planen. Das gilt übrigens auch für den Standort Sursee.

In Wolhusen ist die Baubewilligung seit einem Jahr erteilt. Das Kantonsgericht hat zudem die Beschwerde des LUKS gegen die Auflagen zum Helikopterlandeplatz gestützt, wobei dem Urteil die Rechtskraft noch fehlt. Das hat aber keine direkten Auswirkungen auf das Neubauprojekt. Wann erfolgt also der Spatenstich?
Die Vorbereitungsarbeiten in Wolhusen haben bereits begonnen, der Rückbau des Schützenhauses ist im Gang. Gleichzeitig wird der Parkplatz erneuert und nach den Sommerferien starten wir nach einem Spatenstich mit dem Bau eines neuen Ökonomiegebäudes. Parallel dazu saniert die Gemeinde Wolhusen die Spitalstrasse. Mittlerweile beschäftige ich mich seit zehn Jahren mit diesem Projekt. Jetzt müssen wir unbedingt endlich vorwärts machen.

Guido Graf, sie haben als Luzerner Gesundheitsdirektor zwei Jahre Corona hinter sich. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Corona war für mich ein extremer Druck, auch auf der persönlichen Seite. Es sind deswegen Menschen gestorben, was mir grosse Mühe bereitet hat. Wir sind am Runterfahren, das Corona-Virus ist aber noch immer unter uns. Im Hintergrund sind wir bereits am Vorbereiten der nächsten Welle, die eventuell Ende Jahr kommt, so dass man die Impfzentren wieder hochfahren muss.

Wie sieht die Flüchtlingssituation im Kanton Luzern im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg aus?
Ich will überhaupt nicht jammern. Aber hier besteht ebenfalls ein enormer Druck. Jeden Tag kommen etwa 40 bis 60 Personen, die wir irgendwo unterbringen müssen. Das ist eine grosse Herausforderung.

Und dazu kommt die Spitalsituation auf der Luzerner Landschaft…
Die ist neben Corona und dem Ukraine-Krieg aktuell mein drittes Hauptgebiet. Die medizinische Versorgung für die Zukunft will ich jetzt entsprechend vorbereiten. Da dürfen wir den Anschluss einfach nicht verpassen.

2023 stehen Regierungsratswahlen an. Weihen Sie den Neubau noch als Gesundheitsdirektor ein?
2023 bin ich 13 Jahre als Regierungsrat im Amt. Ich orientiere mich unter anderem an den Statuten der Mitte des Kantons Luzern, die eine Höchstgrenze von 16 Jahren vorgeben. Da will ich keine Ausnahme. Andererseits sage ich offen: Nachdem der Neubau der Frauenklinik und des Kinderspitals in Luzern auf gutem Weg ist, möchte ich zusammen mit dem Verwaltungsrat des LUKS auch für das Spital Wolhusen und das Spital Sursee die Weichen richtig stellen. In diese Projekte habe ich sehr viel Energie, Zeit und Herzblut investiert.

Ernesto Piazza

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