Talstrasse – Jahrhundertprojekt oder Fehlplanung?

Die betroffenen Gemeinden haben sich auf eine Variante der geplanten Talstrasse geeinigt. Die Öffentlichkeit wird aber noch nicht informiert. Trotzdem gibt die Talstrasse zu reden. Denn nicht alle sind von dieser «Lösung» überzeugt.

Yves Bucher

Die Talstrasse ist ein Thema, das die Gemüter schon seit über 40 Jahren bewegt. Nachdem Politiker der Region und die Idee Seetal AG sich beim Kanton für die Realisierung dieses Projekts stark gemacht haben, wurde im November 2010 das Projekt vom Kantonsrat in den sogenannten Planungstopf B versetzt. Damit konnte die Planung 2011 an die Hand genommen werden. Die Gemeinden haben sich nun auf eine Variante geeinigt, zumindest was die Strecke zwischen Hochdorf und Eschenbach betrifft. Die Linienführung bleibt allerdings vorerst unter Verschluss. Der Ball liegt gemäss Pius Höltschi, Sprecher für das Thema Talstrasse beim Gemeindeverband Regionalplanung Seetal, beim Regierungsrat. Erst nachdem dieser entschieden habe, werde die Öffentlichkeit informiert.  

Zerschneidung der Landschaft

Gegen die Umtopfung im Jahr 2010 stimmten im Kantonsrat unter ande-ren die SP-Frauen Trudi Lötscher-Knüsel (Hitzkirch) und Jacqueline Mennel Kaeslin (Hochdorf). Letztere betonte in ihrer Ansprache im Kantonsrat, dass die Talstrasse «ein total falscher Ansatz» sei. Grossräumige Umfahrungsstrassen seien Lösungen aus der Vergangenheit. Zudem zerschneide die Talstrasse wertvolle Kultur- und Erholungslandschaften.
Dies sieht auch der Landwirt Urs Grüter aus Urswil so. Er ist, neben anderen Bauern, direkt betroffen von der geplanten Linienführung. «Dieses Gebiet ist ein Naherholungsgebiet. Viele Wanderer, Biker, Jogger, Walker erfreuen sich dieser Landschaft.» Die Talstras­se zerschneide die Felder, was auch zu Problemen der Bewirtschaftung führe. «Um unsere Felder weiter bewirtschaften zu können, braucht es Unterführungen oder andere Lösungen», so Grüter weiter. Für ihn sei die Talstrasse schlicht und einfach unvorstellbar.  

Gemäss Grüter zerschneidet zudem die geplante Umfahrungsstrasse das Vernetzungsprojekt Hochdorf. «Seit Jahren arbeiten wir daran und schaffen Wildkorridore. Die Strasse würde dieses Gebiet auch diesbezüglich teilen.» Für Pius Höltschi ist indes klar: «Es ist unumgänglich, dass Verkehrsinfrastrukturen teilweise Kulturland und Erholungsraum beanspruchen. Wenn man Dorfzentren von Verkehr entlasten will, kann man die Strassen nicht nur in den Bauzonen erstellen.»

Ziel- oder Durchgangsverkehr?

Die Gegner der Talstrasse argumentieren unter anderem, dass 70 bis 80 Prozent des Verkehrs in Hochdorf Zielverkehr und nicht Durchgangsverkehr sei. Der Nutzen einer Umfahrung sei damit fraglich. Eine Studie der Hochschule Luzern Wirtschaft, welche von der Idee Seetal AG 2009 in Auftrag gegeben wurde, nennt demgegenüber als Haupterkenntnis die Tatsache, dass die Dorfzentren Hochdorf, Ballwil und Eschenbach vom Durchgangsverkehr entlastet werden und dies eine Aufwertung der Dorfzentren bedeute. Wichtigster Aspekt sei aber die Verlagerung des Verkehrs weg von den Dorfzentren auf die Talstrasse. Ohne flankierende Massnahmen, zum Beispiel Kreisel, die Förderung des Langsamverkehrs oder die Einrichtung einer Fussgängerzone, sei dies nicht zu erreichen. «Die Dorfkernerneuerung sollte als Bestandteil des Projekts Talstrasse Seetal und nicht als unverbindliche Option für die Zeit nach der Realisierung der Talstrasse Seetal betrachtet werden», so die Studie weiter.

Ein Handbuch des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS) stösst ins gleiche Horn. Massnahmen zur Verkehrsberuhigung seien eine unerlässliche Voraussetzung, um eine nachhaltige Entlastung der Dorfzentren zu erreichen. Das VCS-Handbuch weist zudem auf die Problematik hin, dass flankierende Massnahmen meistens Sache der Gemeinde sei. «Umso wichtiger ist es, solche flankierende Massnahmen aufs politische Parkett zu bringen und sie frühzeitig in das Projekt und das Budget mit einzubeziehen.»  

Die einzige Lösung?

Raumplaner Martin Kaeslin aus Hochdorf bezweifelt, dass alle Möglichkeiten, den Verkehr in Zukunft zu bewältigen, überprüft worden sind. «Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Umfahrungsstrasse, in seltenen Fällen kann es die richtige Lösung sein. Man sollte aber genau überprüfen, ob die geplante Talstrasse wirklich die beste Lösung ist.» Dazu brauche es normalerweise vielschichtige Abklärungen. «Man muss genau wissen, was das Ganze im Vergleich zu anderen Lösungen bringt, bevor man die Landschaft zerschneidet und die Finanzen sowie die Umwelt belastet.» Bei der Talstrasse habe man aber lediglich die Linienführung diskutiert.

Im Hinblick auf die Entwicklungskonferenz, welche die Gemeinde Hochdorf am 21. September für die Ortsplanung durchführt, sagt Kaeslin: «Bis dann sollten die Fakten auf dem Tisch liegen. Mit einer Umfahrungsstrasse sieht die Gemeinde anders aus und funktioniert anders, und das müsste in der Ortsplanung schon jetzt berücksichtigt werden.»

Seetal besser erreichbar

Gemäss Pius Höltschi braucht das Seetal die Talstrasse. «Das Seetal entwickelt sich wirtschaftlich und gesellschaftlich weiter. Bevölkerungs- und Mobilitätszunahme steigern die Frequenzen auf Strasse und Schiene.» Der Bau der Talstrasse habe viele Vorteile: Die Dorfzentren würden ruhiger und sicherer und könnten attraktiv umgestaltet werden. «Dadurch steigt die Lebensqualität.»

Zudem werde mit der Talstrasse das Seetal besser und schneller erreichbar. Die KMU-Firmen und grössere Betriebe mit nationaler und internationaler Ausrichtung seien auf eine gute Erschliessung angewiesen. «Die Erreichbarkeit ist ein wirtschaftlich zentraler Entscheidungsfaktor bei der Ansiedlung beziehungsweise dem Verbleib», so Höltschi weiter.

Platz für Spekulationen

Obwohl die Talstrasse schon jetzt zu reden gibt, geben weder die zuständige Dienststelle Verkehr und Infrastruktur, noch Gemeindepolitiker auf Anfrage Informationen heraus. Unisono wird darauf verwiesen, dass die Regierung nach den Sommerferien die Öffentlichkeit informieren wird. Auch die Kantonsräte werden dann zum ersten Mal Näheres erfahren. Für Adrian Bühler, CVP-Kantonsrat aus Eschenbach, eine schwierige Situation. «Als Kantonsrat werde ich häufig auf das Thema Talstrasse angesprochen. Ich weiss aber zurzeit darüber auch nichts Konkretes.» Warum die Kantonsräte der Region vom Kanton nicht mit einbezogen wurden, kann er nicht nachvollziehen. «Wir Kantonsräte müssen ja auch zwischen Anliegen des Kantons und der Bevölkerung vermitteln», betont Bühler, der selber in einer Kommunikationsagentur Kunden berät. «Wenn man nichts sagt, wird das Thema interessant», so Bühler weiter. «Ich verfolge den Grundsatz, im Zweifelsfalle zu kommunizieren und nicht zu schweigen.» Denn Schweigen schaffe Platz für Spekulationen.

Bleibt also zurzeit nichts anderes übrig, als abzuwarten. In wenigen Wochen werden die Spekulationen mit der Information der Regierung vorerst ein Ende haben, zumindest was die Linienführung der Talstrasse angeht. Die Diskussionen sind schon jetzt lanciert. In dem Sinne ist es in der Tat ein «Jahrhundertprojekt», wie die Idee Seetal AG betont. Bleibt zu hoffen, dass man sich einig wird, bevor dieses Jahrhundert vorbei ist.

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