Mehr Gäste aus der Romandie

Die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken. Tourismusbetriebe aus der Region blicken auf die diesjährige Sommer- und Herbstsaison zurück. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind nach wie vor spürbar – sowohl positiv als auch negativ.

Die Ferienwohnung auf Schloss Heidegg wird zurzeit stark nachgefragt, das freut Geschäftsführer Dieter Ruckstuhl. Foto Milena Stadelmann
Milena Stadelmann

Der blaue Himmel, die Rebberge, das Schloss Heidegg: Das Aushängeschild des Tourismus im Luzerner Seetal erscheint an dem warmen Herbsttag wie ein Abbild von einer Postkarte. Ein Mann fotografiert mit seinem Handy die Kulisse, Kinder spielen auf dem Spielplatz vor dem Schloss, französischsprachige Spaziergänger gehen Richtung Museumseingang. Das Schloss Heidegg ist gut besucht – Geschäftsführer Dieter Ruckstuhl ist zufrieden. 

Während das Museum lange keine Gäste empfangen durfte, wurde das Übernachtungsangebot auf Schloss Heidegg seit dem Ausbruch der Corona-­Pandemie umso mehr nachgefragt. Gemäss Jahresbericht verzeichnete die Ferienwohnung im Jahr 2019 fast 130 Ankünfte, ein Jahr später waren es über 180. 2021 werden es nochmals deutlich mehr sein: «Die Wohnung konnte von Mai bis Oktober fast lückenlos vermietet werden», sagt Ruckstuhl. Ein Rekord. Die Gäste blieben im Durchschnitt zwischen drei und sieben Tagen in Gelfingen. «Wer von weiter her kommt, besucht die Tourismus-Klassiker wie das Verkehrshaus oder die Stadt Luzern. Wer mit der Region vertrauter ist, wandert um den Baldeggersee oder radelt durchs Seetal.» Während das Schloss Heidegg im letzten Jahr viele Gäste aus Deutschland und der Schweiz beherbergte, blieb es in diesem Jahr hauptsächlich bei einheimischen Touristen. «Die Romandie ist gut vertreten, aber auch die Kantone Zürich und Bern.» Sogar Gäste aus Hitzkirch oder Luzern haben ihre Ferien in der eigenen Region verbracht. Beim Museum erhole sich die Besucherfrequenz langsam, sei aber noch nicht auf dem Niveau wie vor Corona. Seit Juni werden auf dem Schloss wieder Apéros und Bankette veranstaltet. «Trotz gewissen Einschränkungen ist der Trend erfreulich.»

Geteilte Rückmeldungen zur  Sommer- und Herbstsaison
In mehreren Seetaler Gemeinden werden Bed and Breakfasts angeboten. So zum Beispiel das B&B Seetal in Eschenbach, das B&B Schachenhof in Inwil oder das B&B Obermühli in Ermensee. In letzterer Gemeinde können zudem Ferien im Steuerhaus der MS Rigi gemacht werden. Das Steuerhaus des Schiffes wurde in eine Ferienwohnung umgebaut und steht mitten in der Natur. 

Die Beherbergungsbetriebe ziehen alle ein ähnliches Fazit. Während der Sommer 2020 sehr gut gebucht war, nahmen die Logiernächte in diesem Jahr ab. Als Grund wird das schlechte Wetter im Sommer genannt. Unter den Gästen sind viele E-Bike- und Velofahrer, welche einen Zwischenstopp auf der Herzschlaufe oder Herzroute einlegen. Diese bleiben ein bis zwei Nächte, Familien die in der Region Ferien machen, verweilen im Durchschnitt ein paar Tage länger im Seetal. Touristen aus dem Ausland machen nach wie vor einen kleinen Anteil der Gäste aus, bei denen die kommen, handelt es sich oft um Stammkunden aus dem nahen Ausland. Auffällig ist die Zunahme von einheimischen Touristen aus der Westschweiz oder je nach Betrieb aus dem Wallis. Grundsätzlich sind die Beherbergungsbetriebe zufrieden mit der Sommer- und Herbstsaison. Für viele sind die Übernachtungsgäste keine Existenzfrage, sondern ein Nice-to-have. 

Ein grösserer Beherbergungsbetrieb ist das Hotel Restaurant Sternen in Gelfingen. Es verfügt über 15 Zimmer und 29 Betten. Seit Anfang Juli wird der «Sternen» von neuen Betreibern geführt. «Bis jetzt waren die Buchungen regelmässig», sagt Geschäftsleiter Pascal Rothmund. Die Gäste bleiben durchschnittlich etwa zwei Tage. Es sind vor allem Geschäftsleute, Biker und Wanderer oder am Wochenende solche, die auf dem Schloss Heidegg eine Feier hatten.

René Bossard, Geschäftsführer von Seetal Tourismus hat von den Betrieben geteilte Rückmeldungen zur Sommer- und Herbstsaison erhalten. «Es gibt einige, die von der Pandemie profitiert haben und andere hatten sehr Mühe.» Zu den Gewinnern gehörten vereinzelte Beherbergungsbetriebe oder Freizeitangebote wie das Schongiland. Schwerer hatten es die Gastronomie oder die Schifffahrtsgesellschaft Hallwilersee. Ein abschliessendes Fazit könne er aber erst zu einem späteren Zeitpunkt ziehen, wenn Zahlen zur Saison vorliegen. Aber auch er bestätigt: Das Seetal konnte hauptsächlich Gäste aus der Schweiz empfangen, was auch vor Corona schon so war. Neu seien aber die vermehrten Gäste aus der Romandie und eine längere Aufenthaltsdauer. «Vorher lag der Fokus auf dem Geschäftstourismus, jetzt machen sie hier Ferien.»

Mehr ausländische Touristen
Luzern Tourismus kann in diesem Jahr eine positivere Bilanz ziehen als noch 2020. «Wie im letzten Sommer durften wir vor allem wieder viele Schweizer Gäste begrüssen – darunter auch viele, die noch nie in der Region waren und zum Beispiel auch Gäste aus der Romandie», sagt Sibylle Gerardi, Mediensprecherin bei Luzern Tourismus. Im August wurden in der Region Luzern-Vierwaldstättersee rund 40 Prozent mehr Übernachtungen von Einheimischen gezählt. Leicht positiv entwickeln sich die Zahlen aus Europa, und es kommen wieder mehr Gäste aus den USA. «Touristen aus Asien bleiben aber weitgehend aus», sagt Gerardi. Eine Ausnahme seien Gäste aus den Golfstaaten. «Dort verzeichnen wir eine Zunahme von 235 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.»

In der Stadt Luzern haben von Januar bis August wieder 9.5 Prozent mehr Gäste übernachtet als 2020. Das sind allerdings immer noch rund 60 Prozent weniger als 2019. In der ganzen Region Luzern-Vierwaldstättersee liegen die Zahlen noch rund 35 Prozent tiefer als vor der Pandemie. 

Für den Herbst verfügt Luzern Tourismus noch über keine Zahlen. Gerardi: «Wir gehen aber davon aus, dass die Zahlen für den September und während der Herbstferien im Oktober recht gut sein werden.» Auch dem Dezember blickt Luzern Tourismus aufgrund der Winteruniversiade und «den Veranstaltungen, die dieses Jahr wieder stattfinden können» optimistisch entgegen.

von Milena Stadelmann

«Es müssen neue Stammgäste gewonnen werden»

Die ländlichen Tourismusregionen haben in der Pandemie grundsätzlich weniger gelitten als die Städte. Urs Wagenseil, Tourismusexperte und Co-Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus an der Hochschule Luzern (HSLU), erklärt, was das für die Zukunft der Branche bedeutet. 

Urs Wagenseil, Co-Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus an der Hochschule Luzern (HSLU).

Urs Wagenseil, was für Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf ländliche Tourismusregionen wie das Seetal?
Urs Wagenseil:
Grundsätzlich sind die ländlichen Tourismusregionen durch die Pandemie stärker in den Fokus gerückt. Die Städte haben vor allem im letzten Jahr durch die Einschränkungen in der Gastronomie und bei Freizeitangeboten an Attraktivität verloren. Es war eine Stadtflucht spürbar, dafür hat es die Menschen vermehrt in die Natur gezogen. Davon haben ländliche Freizeitregionen profitiert. Doch: Auch wenn diese Entwicklung in den Deutschschweizer Regionen unter anderem zu mehr Gästen aus der Romandie geführt hat – die Tragik der Pandemie ist damit nicht vom Tisch.

Können die Tourismusregionen langfristig von dieser Entwicklung profitieren?
Das wird sich zeigen. Das ist nur möglich, wenn es gelingt, bei den neuen Gästen auch Stammkunden zu gewinnen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass es sich bei der Entwicklung nur um einen kurzfristigen Boost handelt. 

Wie können die ländlichen Regionen am Ball bleiben?
Eine top Betreuung durch die Betriebe und freundliches Empfangen der Einheimischen sind dafür das A und O. Zudem muss das bestehende touristische Angebot stets weiterentwickelt werden. Der Gast will immer wieder etwas Neues erleben können. Auch gezieltes Marketing spielt eine wichtige Rolle: Wer von der Zielgruppe nicht gehört wird, verliert die Gäste an die Konkurrenz, von der es mehr als genug gibt. Beim Seetal muss man nüchtern relativieren: Die touristischen Gegebenheiten sind gut, aber nicht blendend. Das Übernachtungsangebot und die Erlebnismöglichkeiten sind quantitativ begrenzt. Deshalb darf man sich nicht zu viel versprechen. Bergregionen mit einem grösseren Angebot und einem touristischeren Image haben sicher die besseren Chancen, langfristig von der Pandemie respektive von den Nachfrageveränderungen zu profitieren. 

Was für Touristen zieht es ins Seetal?
Die Region ist stark auf den Freizeittourismus ausgelegt, weniger auf den Übernachtungstourismus. Primär der Hallwilersee ist mit der Schifffahrt, den Seehotels und dem Schloss Hallwyl gut aufgestellt. Das Seetal eignet sich optimal für Ausflüge in die Natur, um Ruhe zu finden oder um darin körperlich aktiv zu sein. Die städtischen Regionsgrenzen im Norden und Süden mit Lenzburg und Luzern bieten hierzu einen stabilen Rahmen. Das Potenzial wäre da, zum Beispiel auch mehr Städter aus der Region Zürich für das Seetal zu begeistern. Diese müssen durch gezieltes Marketing erreicht werden. Aber auch hier gilt: Die Freizeitangebote müssen ständig hinterfragt und eventuell überarbeitet werden, um die Sehnsucht der Gäste zu wecken und die Bedürfnisse erfüllen zu können. Die E-Bike-Routen mit der Veloszene, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat, sind ein gutes Beispiel dafür. Darauf darf man sich aber nicht ausruhen, denn die anderen Tourismusregionen entwickeln sich ebenfalls weiter, zum Beispiel bereits in der benachbarten Sempachersee-Region.

Wie schätzen Sie generell das Potenzial von ländlichen Tourismusregionen in der Zukunft ein? 
Grundsätzlich sehr hoch. Die Gesellschaft hat sich auch durch die Pandemie verändert. Den Menschen ist ein gesundes Leben und eine ausgeglichene Work-Life-Balance wichtiger geworden. Die Menschen suchen immer mehr nach glaubwürdigen, natürlichen und ursprünglichen Tourismusangeboten. Darauf basiert auch der Gedanke der Nachhaltigkeit. Ländliche Tourismusregionen könnten diese Bedürfnisse abdecken und mit dem tollen räumlichen Rahmen für Outdoor-Aktivitäten punkten. Doch die Konkurrenz durch die Städte und das Ausland wird auch nach der Pandemie gross sein, denn das Reisen als Wert unserer Gesellschaft dürfte nicht an Bedeutung verlieren. 

Inwiefern?
Vor der Pandemie hat der Tourismus in ländlichen Regionen der Schweiz etwas gestockt. Die Städte dagegen haben ihr Angebot in den letzten 15 bis 20 Jahren vergleichsweise stark ausgebaut, ausländische Reiseziele sind unter anderem mit dem Flugzeug schnell und günstig zu erreichen. Ein Flug ins spanische Málaga kostet bei Billigairlines oftmals weniger als ein Zugticket nach Interlaken. Sobald Reisen ins Ausland wieder einfacher und Städte komplikationsloser erlebbar sind, könnten die Touristen in alte Muster verfallen. Diese Reisenden würden den ländlichen Regionen dann teilweise wieder verloren gehen. Es muss sich noch zeigen, wie das Reiseverhalten in einem globalen Kontext künftig sein wird. Ich bin mir sicher: Die Reisefreude und der Wunsch nach Freizeit vor der Haustüre sowie der Drang etwas Neues zu erleben, sind durch die Pandemie über das Ganze betrachtet nicht kleiner geworden.

von Milena Stadelmann

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