«Den Einsatz zu verbieten, ist nicht zielführend»

Künstliche Intelligenzen (KI) wie Chat GPT stellen Schulen vor Herausforderungen. Der «Seetaler Bote» hat mit Roger Rauber, Rektor der Kantonsschule Seetal, über das KI-Sprachmodell gesprochen.

Künstliche Intelligenzen wie Chat GPT sind an der Kantonsschule Seetal ein Thema. Rektor Roger Rauber: «Das Bildungswesen muss einen Weg finden, das Instrument so zu nutzen, ohne Sklave davon zu werden.» Foto: Milena Stadelmann
Milena Stadelmann

Roger Rauber, ist Chat GPT an der Kantonsschule Seetal bereits ein Thema?
Ja, es ist auf jeden Fall ein Thema. Zurzeit aber eher noch bei der Lehrer- als der Schülerschaft. Es gab bereits Anfang Februar eine Lehrpersonenkonferenz über Chat GPT. Das Ziel war, dass alle Lehrerinnen und Lehrer wissen, dass es Chat GPT und andere KI-Sprachmodelle gibt und was es für unsere Schule bedeuten könnte.

Was wäre das?
Es ist alles sehr neu und wir wissen nicht, wie sich die Künstliche Intelligenz weiterentwickelt. Daher sind die Auswirkungen schwierig abzuschätzen. Fakt ist aber: Chat GPT und andere Künstliche Intelligenzen sind hier und werden nicht mehr verschwinden.

Wo kann Chat GPT im Unterricht eingesetzt werden?
Da das Sprachmodell Texte generieren kann, ist es für mich als Deutschlehrer sehr interessant. Die Künstliche Intelligenz kann beispielsweise Texte von Schülerinnen und Schüler verbessern oder Fehler korrigieren. Sie kann auch bei der Struktur und Gliederung helfen. Ganze Texte von Chat GPT schreiben zu lassen, kann aber nicht das Ziel sein.

Warum wäre das problematisch?
Sprache und Denken sind in der Bildung sehr zentral. Das Schreiben von Texten ist ein kreativer Prozess, der verschiedene Stufen durchläuft. Schülerinnen und Schüler lernen dadurch ihre Gedanken zu formulieren. Das ist nicht einfach und braucht Übung. Geht diese Fähigkeit verloren, wäre das ein grosser Verlust. Wir müssen als Menschen offen und lernfähig bleiben, um unsere Kompetenzen weiterzuentwickeln.

Gibt es andere Bereiche, wo Chat GPT nicht eingesetzt werden sollte?
Im Bereich der Prüfungskultur gibt es sicherlich Herausforderungen. Insbesondere bei Abschlussarbeiten. Texte, die mit der Künstlichen Intelligenz generiert werden, sind keine Plagiate im eigentlichen Sinne. Daher werden sie von einer Plagiatssoftware auch nicht als solche erkannt. Bereits heute unterschreiben die Schülerinnen und Schüler bei der Maturaarbeit eine Ehrlichkeitserklärung und bestätigen dadurch, dass sie die Arbeit selbstständig erarbeitet und alle verwendeten Quellen angegeben haben. In Zukunft könnte es eine zusätzliche Klausel geben, in der man den Einsatz der Künstlichen Intelligenz aufnimmt. Chat GPT soll auch keine Software sein, die Hausaufgaben löst.

Dies zu kontrollieren, dürfte aber wie sie erwähnt haben, schwierig sein. Werden Hausaufgaben dadurch nicht überflüssig?
Nein, sie machen immer noch Sinn. Bei Prüfungen dürfen die Schülerinnen und Schüler die Künstliche Intelligenz nicht einsetzen. Egal ob es darum geht Mathematik-Aufgaben zu lösen oder Texte zu schreiben: Wer nicht übt, bestraft sich schlussendlich selbst. Ich glaube, die Schülerschaft begreift das. Allerdings müssen wir bei der Art und Weise, wie Hausaufgaben gestellt werden, in Zukunft umdenken.

Inwiefern?
Den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zu verbieten, ist nicht zielführend. Eine sinnvollere Möglichkeit wäre es, diese bewusst in Aufgabenstellungen einzubauen. Wenn ich im Deutschunterricht schriftliche Texte verlange, muss ich mir überlegen, wie ich die Aufgabe stelle. Zusammenfassungen über ein Buch kann Chat GPT innert Sekunden generieren. Solche Aufgaben machen keinen Sinn. Eine Herausforderung ist, dass eine Sprache generierende KI auch kreative Texte schreiben kann. Ein Beispiel: Aus dem Sturm und Drang (Anm.d. Red.: Literarische Strömung in der deutschen Literatur zwischen 1765 und 1785) gibt es das Gedicht «Der Bauer an seinen durchlauchtigen Tyrannen» von Gottfried August Bürger. Ich habe Chat GPT die Aufgabe gestellt, mit Bezug auf Bürgers Gedicht einen Brief aus Sicht des Bauern an seinen Unterdrücker zu schreiben. Das Sprachmodell bringt das nicht schlecht hin. Das ist fast beängstigend.

Was für Aufgabenstellungen wären demnach sinnvoll?
Bei einer Debatte über das Stimmrechtsalter 16 könnten die Schülerinnen und Schüler beispielsweise Chat GPT nach Pro- und Contra-Argumente fragen und die Antworten als Grundlage brauchen, um eine eigene Argumentation zu entwickeln. Was sie auf keinen Fall machen dürfen, ist Antworten des Chatbots ungefiltert zu übernehmen.

Weshalb?
Die Künstliche Intelligenz ist nicht fehlerfrei. Das habe ich beim Austesten von Chat GPT selbst festgestellt. In einem Podcast über KI hat ein Journalist Chat GPT folgende Frage gestellt: Wer war die letzte Präsidentin Frankreichs? Seine Antwort war die Schauspielerin Brigitte Bardot. Kritisches Denken und die Fähigkeit, Falschnachrichten zu erkennen, werden durch den Gebrauch von Künstlicher Intelligenz umso wichtiger. Darauf müssen die Schülerinnen und Schüler sensibilisiert werden.

Da kommen einige Herausforderungen auf die Schulen zu. Wie können diese gemeistert werden?
Was es langfristig braucht, sind Regeln. Hier sind die Politik und übergeordnete Organisationen wie die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) gefordert. Sie müssen festlegen, wo und inwiefern Künstliche Intelligenzen im Bildungsbereich eingesetzt werden dürfen und wo nicht. Ebenfalls eine wichtige Frage ist, wie der Einsatz überprüft werden kann.

Was finden Sie persönlich wichtig im Umgang mit Künstlichen Intelligenzen wie Chat GPT?
Ich unterrichte mittlerweile seit über 25 Jahren. Die Schule hat sich in den vergangenen Jahren durch die Digitalisierung so schnell weiterentwickelt wie nie zuvor. Mit der Künstlichen Intelligenz kommt nun noch eine weitere Qualität dazu. Wie bereits gesagt: Sich der Entwicklung zu verschliessen, macht keinen Sinn. Das Bildungswesen muss einen Weg finden, das Instrument klug und gezielt zu nutzen, ohne Sklave davon zu werden. So können die positiven Aspekte überwiegen.

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