Mit den Glücksbringern unterwegs

Vater und Sohn, Urs und Alex Würsch, sind Hufschmiede im Luzerner Seetal. Öfters werden sie zum Jahres­schluss um ein Huf­eisen als Glückssymbol gebeten.

Urs Würsch (58) mit seinem Sohn Alex (28) und dem Lernenden Hannes Tobler (17): Foto R. Fuchs
 

Von René Fuchs

Es ist bitterkalt an diesem Wintermorgen. Die Bise zieht über die verschneite Landschaft am Ausläufer des Lindenbergs. Im Inwiler Reithof Meiengrüne herrscht schon reger Betrieb. Die zwei mobilen Werkstattwagen der Firma Hufbeschlag Würsch stehen vor den Stallungen. Im kleinen Gasschmiede­ofen zischt und braust es. Im Innern glühen zwei Hufeisen bei rund 1100 Grad. Die austretende Wärme ist bei der Arbeit willkommen. «Man muss das Eisen schmieden, solange es heiss ist», lacht Alex Würsch (28) und entnimmt routiniert eines aus dem Ofen. Magisch sieht das glühende Eisen in der Winterluft aus. Solange es weisswarm aufleuchtet, kann es mit den nötigen Hammerschlägen bei rund 900 Grad auf dem Amboss geformt werden. Feine Schlackenteile, der sogenannte Hammerschlag, fällt zu Boden. Wenn alles passt, wird darauf das Hufeisen im bereitstehenden Wasserkübel abgekühlt. Nach einem kurzen Zischen sieht es wie die Dutzenden anderen grossen und kleinen Eisen im Materialwagen aus.

Schon als Kind hatte Alex Würsch den Wunsch, wie sein Vater Hufschmied zu werden. Öfters war er als Knabe mit ihm unterwegs gewesen. In der damaligen Schmitte in Stans hatte er Glücksbringer und andere Gegenstände geschmiedet. 2014 schloss er die vierjährige Lehre bei seinem Vater ab und machte sich als Geselle auf die Wanderjahre. In Zuchtfarmen mit bis zu 400 Pferden und Reitbetrieben in Australien, Neuseeland, den USA und Kanada sammelte er bleibende Erinnerungen und Erfahrungen bei Kost und Logis. «Dass die Pferde gut laufen, ist weltweit unter uns Hufschmieden das verbindende Ziel», ergänzt Alex. Dass er in Neuseeland auf einer Farm das Foto seines Vaters in einem Album entdeckte, war zukunftsweisend. Wie er wollte er nun auch an internationalen Berufswettkämpfen teilnehmen. Einzel- und Teamwettkämpfe wechseln sich übers Jahr ab. Im November gewann er zu seiner grossen Freude und Bestätigung mit selbst geschmiedeten Eisen einen europäischen Wettkampf in Holland. Jeden Donnerstag amtet er auch als Klinikschmied für orthopädische Beschläge in der Pferdeklinik Niederlenz.

Waches Auge gefragt

«Ein guter Umgang mit Mensch und Tier, sprich Einfühlungsvermögen, ein waches Auge, Vorstellungsvermögen, handwerkliches Geschick, sowie einen soliden Körperbau braucht es schon, denkt man nur an die Handgelenk- und Rückenbeanspruchung, erklärt der junge Hufschmied bei einem Schluck wärmenden Kaffee. «Ninja Mouse», eine fünfjährige Stute wartet nebenan auf den Hufbeschlag. Alle 6 bis 8 Wochen, je nach Gebrauch des Pferdes, der Qualität des Horns und der Geschwindigkeit des Wachstums wiederholt sich das Prozedere. «Glück ist es, heute einen Hufschmied zu finden», lacht die Reiterin Irma Schwittay. Denn laut Bundesamt für Landwirtschaft hat der Pferdebestand in den letzten sieben Jahren um knapp einen Drittel auf 102 653 in diesem Sommer zugenommen. Gegenteilig ist die Entwicklung bei den Hufschmieden. Zum Glück können sie zwei Lernende ausbilden. So ist heute auch Hannes Dobler aus Hochdorf im zweiten Lehrjahr mit von der Partie.

«Als routinierter Hufschmied merkt man schnell, ob ein Pferd Angst hat oder sich keck aufführt. Ein ruhiges Gemüt ist bei der Arbeit von grossem Vorteil», fügt Hufschmiedemeister Urs Würsch (58) schmunzelnd bei. Seit bald 30 Jahren ist er selbstständig und seit der Jahrtausendwende wohnt der zweifache Familienvater dank seiner Frau, einer begeisterten Reiterin, in Ballwil. In Buochs aufgewachsen, absolvierte er von 1980 bis 1984 in Stans die Lehre als Huf- und Fahrzeugschmied. In den prägenden Gesellenjahren arbeitete er auch fünf Jahre als Hufschmied im Tierspital Bern, bevor er den Lehrbetrieb seines Meisters übernahm. Gut zwanzig Jahre nahm er an Wettkämpfen teil. Dreimal wurde er Schweizermeister, war sogar einmal der Beste Europas und an einer Weltmeisterschaft schaffte er den 7. Rang. Heute betreut er zusammen mit seinem Sohn durchs Jahr hindurch um die 300 Pferde im Kanton Luzern und der Zentralschweiz. 210 Kunden zählen auf die bewährte Arbeit der Glücksbringer im Doppelpack. Der überwiegend grösste Teil sind Pferdeliebhaberinnen.

Ein handgeschmiedetes kleines Hufeisen baumelt je an ihrem Schlüsselbund. Doch wie soll es als Glücksbringer in der Wohnung, im Stall aufgestellt oder aufgehängt werden? Ein Schmunzeln geht durch die Runde. «Klar, mit der Öffnung nach oben», ist sich das Trio einig. «Das Glück soll ja eingefangen werden», doppelt Urs Würsch nach. «Umgekehrt würde es verloren gehen.» Mit eigenen Händen etwas erschaffen zu können, ist für sie das wahre Glück, das Zufriedenheit und eine Existenz schafft.

Glück hin oder her, jetzt geht es wieder an die Arbeit. Zwei Pferde müssen beschlagen werden. Die abgenutzten Hufeisen werden mit einer grossen ­Zange entfernt. Alex Würsch schneidet die weisse Hufsohle mit einem Hufmesser aus und kürzt mit der Hauklinge den Tragrand des ersten Hufes. Die kleineren Unebenheiten an der Huf­unterseite werden mit einer Raspel geglättet. Das «Hufbeschlagwägeli», auf dem der Hufschmied sitzt, um Knie und Rücken zu schonen, ist dabei ­ideal. Während die Hufwände ebenfalls mit der Raspel bearbeitet werden, kann das Pferd den Huf bequem auf den Hufbock stellen. Bald wird zur Probe das vorgesehene Hufeisen aufgerichtet. Noch heiss wird es auf den Huf angepasst. Es raucht, zischt und es riecht, wie wenn man sich die Haare zu heiss föhnt. Die Stute «Galyna» blickt unbesorgt in die Weite, denn schmerzhaft ist es nicht. Nur das Qualmen sieht gespenstisch aus. Beim Aufrichten, dort wo die Nagellöcher auf dem Huf aufliegen, bilden sich kleine Abdrücke, die es dem Hufschmied ermöglichen, exakt zu prüfen, ob die Nagellöcher wirklich auf der weissen Linie des Hufes zu liegen kommen. Alles passt und die Hufeisen werden vorgängig noch mit Hufgrip, einer Gummieinlage für eine bessere Trittsicherheit im Winter, die eine Stollenbildung bei Schnee und Eis verhindert, versehen. Nun nimmt Alex den Beschlagshammer und treibt die sechs Hufnägel mitten auf der weis­sen Linie durch den Tragrand des Hufes, sodass die Nagelspitzen etwa bei einem Drittel der Hufwandhöhe wieder austreten. Gekonnt zwickt Lehrling Hannes die vortretenden Enden mit der Hufbeschlagzange ab. Die Nagelenden werden mit einer Nietzange in je eine kleine Rille versenkt. Die Verletzungsgefahr ist somit gebannt. Die Geduld des Tieres beginnt nachzulassen. Die Arbeit wird schwieriger. Beruhigende Worte der Besitzerin und der Crew folgen. Zum guten Schluss werden mit der Hufraspel noch alle hervorstehenden scharfen Kanten und Ecken beseitigt. Und schon steht das nächste Pferd für die «Pediküre» bereit.

Hunderte von verschiedenen Hufeisen in allen Grössen und Formen und Materialien stehen heutzutage per Bestellung zur Verfügung. Das reicht von den grössten von zirka 20 x 20 Zentimeter bis zu den kleinsten von etwa 6,5 x 6,5 Zentimeter und vom Werkstoff Stahl bis zu Aluminium und Kunststoff. Industriell produziert werden sie hauptsächlich in Holland und den USA. Schweizer Händler liefern sie an die einheimischen Hufschmiede aus. Im Einsatzwagen hängen Dutzende Hufeisen fein säuberlich an einer Wand. Vor ihnen zu stehen, so kurz vor dem neuen Jahr, ist ein besonderer Moment: das Glück im Multipack ist greifbar. Doch altbewährte Sprichwörter aus der Schmiedekunst und dem Leben sagen es klar und deutlich: «Jeder ist seines Glückes eigener Schmied» und «Man muss das Eisen schmieden, solange es heiss ist.»

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