Physiotherapie im Schnee

Der Verein Querfeld organisiert Skikurse für Kinder mit Behinderungen. Die Hitzkircherin Margot Roelofs ist seit über zehn Jahren als Leiterin dabei. Am vergangenen Samstag hat die Kinderphysiotherapeutin mit dem fünfjährigen Louis Fiechter das Skifahren geübt – mit Erfolg.

Koordinationsübungen auf dem Rollband fördern das Körpergefühl, vertreiben die Zeit und machen zudem Spass. Fotos Milena Stadelmann
Milena Stadelmann

Auf den Skiern einen Hang hinuntersausen, den Wind im Gesicht und den Schnee unter den Füssen spüren. Dieses Gefühl wird der fünfjährige Louis Fiechter heute zum ersten Mal erleben. Neben ihm stehen fünf weitere Kinder mit einer körperlichen Beeinträchtigung auf der Piste. Begleitet werden sie von Leiterinnen und Leitern des Vereins Querfeld. Dieser organisiert bereits seit über zehn Jahren Skikurse, die auf die Bedürfnisse von Kindern mit einer Behinderung angepasst sind.

Um halb zehn fällt am vergangenen Samstag auf der Klostermatte in Engelberg der Startschuss für den ersten Skikurs der Saison. Zuerst lernen sich die Kinder und die Leiterinnen und Leiter des Vereins bei einem Spiel zum Aufwärmen gegenseitig kennen. Einige Kinder haben sich schon an vorherigen Kursen getroffen, andere sind heute zum ersten Mal dabei. So auch der fünfjährige Louis Fiechter. Der Langenthaler hat eine Cerebralparese. Darunter versteht man eine Gruppe von Symptomen mit Bewegungsstörungen und Muskelsteife, einer sogenannten Spastik. Sie wird verursacht durch eine Fehlbildung des Gehirns. Louis wird an diesem Vormittag von der Hitzkircherin Margot Roelofs begleitet: «Wenn Louis heute mit einem Lachen im Gesicht die Piste hinunterfährt, habe ich mein Ziel erreicht.»

Erste Abfahrt gemeistert
Roelofs hilft Louis dabei seine Ski anzuziehen. Der Junge stützt sich an seiner Lehrerin ab. Geschafft. Als Kinderphysiotherapeutin kennt sich die Hitzkircherin mit dem Krankheitsbild von dem Fünfjährigen aus. Sie baut therapeutische Elemente direkt in den Skikurs ein. Sie fordert Louis auf, zuerst mit dem linken, dann mit dem rechten Bein zu stampfen. Eine Übung für das Gleichgewicht. «Alleine das Tragen der Skischuhe hemmt die Spastik in den Beinen», erklärt Roelofs. Louis lacht und macht bei den Übungen mit, dann kullern ein paar Tränen über seine Wangen. «Er vermisst sein Mami.» Die Hitzkircherin lässt ihrem Schützling keine Zeit fürs Vermissen. Louis allererste Abfahrt steht bevor. Im letzten Jahr stand der Fünfjährige zwar kurz auf den Ski, einen Hügel ist er aber noch nie runtergefahren. Mit dem Rollband geht es die Anhöhe hinauf. Oben angekommen ist Louis die Angst anzumerken. Doch mutig fährt er an der Seite von Roelofs den Berg hinunter – und strahlt. «Das hast du super gemacht», sagt die Hitzkircherin zu dem Jungen. Roelofs übt mit Louis von Anfang an das parallele Skifahren. «Beim Stemmbogen werden spastische Bewegungsmuster gefördert», erklärt sie. Die Kinder müssen somit das Bremsen mit Bergschwung üben. «Das erarbeiten wir nun nach und nach in den weiteren Skikursen.»

Nach der zweiten Abfahrt gibt es für Louis eine Verschnaufpause. Er setzt sich auf seinen Kinderrollator und isst sein Znüni.

Margot Roelofs und Louis Fiechter fahren auf ihren Skiern gemeinsam den Hügel in Engelberg hinunter.

Therapie verbunden mit Spass
Roelofs ist mittlerweile seit über zehn Jahren beim Verein Querfeld als Leiterin aktiv. «Es ist besonders wichtig, auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen und zu spüren, wann sie Angst haben», sagt sie. «Man muss ihnen auch viel Geduld schenken und ihnen Pausen gönnen.» Um die Skikurse zu unterrichten, absolvierte Roelofs eine Ausbildung, die auf das Skifahren mit Kindern mit Cerebralparese ausgerichtet ist. Alle Leiterinnen und Leiter beim Verein Querfeld haben einen Physio- oder Ergotherapeutischen Hintergrund. Gegründet wurde der Verein von dem Krienser Thomas Schumacher und seiner Frau Nicole van Gansewinkel. Beide arbeiten als Physiotherapeuten, Schumacher führt in Schenkon eine eigene Praxis für Kinderphysiotherapie. «Die Idee hinter Querfeld ist, die Therapie in die Natur zu verlegen», sagt der Präsident des Vereins. «Beim Skifahren trainieren die Kinder die Koordination, das Gleichgewicht, die Kraft und automatisieren Bewegungsabläufe. So arbeiten die Kinder, ohne es zu merken, an ihren motorischen Schwächen – denn der gemeinsame Spass steht jederzeit im Vordergrund.»

Seit dem letzten Jahr bietet der Verein Querfeld in Zusammenarbeit mit «PluSport» einen zusätzlichen Kurs für Kinder mit einer geistigen Behinderung an. Der Dachverband «PluSport» ist für die Nachwuchsförderung im Sport und somit auch für das Skifahren bei den Paralympischen Spielen verantwortlich. Zudem findet seit diesem Jahr neu ein Skitraining für fortgeschrittene Skifahrerinnen und Skifahrer statt. Schumacher: «So können die erworbenen Fähigkeiten auch im Anschluss an die Querfeldkurse erhalten und ausgebaut werden.» Ein Anliegen des Vereins ist es, dass die Kurskosten für die Teilnehmenden gleich sind, wie bei normalen Skischulen. Das Defizit wird mit Spenden gedeckt.

Ein erfolgreicher Skitag
Die Pause ist vorbei. Louis ist bereit für die nächste Fahrt. Zuerst macht Roelofs mit dem Fünfjährigen nochmals ein paar Übungen, fordert den Jungen auf zu stampfen und ihr über das Kreuz High Fives zu geben, um die Koordination zu trainieren. Zwischendurch ist die Mutter von Louis vorbeigekommen, um ihn vom Pistenrand her anzufeuern. «Ich habe mega Freude daran, ihm zuzusehen wie er runterfährt», sagt Jenny Fiechter. Sie schätzt das Angebot vom Verein Querfeld. Etwas ähnliches ist der Langenthalerin nicht bekannt. Die Kinderphysiotherapeutin von Louis habe sie darauf aufmerksam gemacht. «Mein Mann und ich fahren selber auch sehr gerne Ski, aber vielleicht doch zu wenig gut, um es Louis beizubringen.» Ausserdem wüssten die Leiterinnen und Leiter mit dem physiotherapeutischen Hintergrund besser worauf sie achten müssten. «Alleine wäre es sicher schwieriger.»

Koordinationsübungen auf dem Rollband fördern das Körpergefühl, vertreiben die Zeit und machen zudem Spass.

Die Kirchenglocken in Engelberg läuten zwölf Mal, damit endet der Skikurs. Louis ist die Erschöpfung vom Skifahren anzumerken – aber auch der Stolz. Er ist nur einmal hingefallen. Roelofs verabschiedet sich von ihrem Schützling und seiner Mutter. Die Hitzkircherin ist zufrieden: «Am Schluss hatten sowohl Louis als auch sein Mami Freude.» Die Dankbarkeit der Eltern motiviere die Physiotherapeutin jedes Jahr aufs Neue. Ebenfalls schön sei es für sie, die Fortschritte der Kinder zu sehen. «Einige habe ich als Baby behandelt und nun fahren sie hier die Piste hinunter. Ein tolles Gefühl.» Louis darf sie im neuen Jahr an drei weiteren Kurstagen begleiten. «Ich freue mich schon darauf, seine Fortschritte zu sehen.»

Weitere Skikurse vom Verein Querfeld finden am Sonntag, 16. Januar 22, Sonntag, 30. Januar 22, und Sonntag, 13. Februar 22, statt. Mehr Informa­tionen zum Verein unter: www.querfeld.org

von Milena Stadelmann

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