«Ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt»

Nach der öffentlichen Kritik am Rettungsdienst Seetal erzählt Geschäftsführer Sebastian Breuer, wie er die ersten Monate beim RD Seetal erlebte. Er bekennt, nicht über alles im Bild gewesen zu sein. Die schwierige Personalsitua­tion ist für ihn derzeit die grösste Herausforderung.

Geschäftsführer Sebastian Breuer will den angeschlagenen Rettungsdienst Seetal zurück auf die Erfolgsspur führen. Foto jh
Jonas  Hess

Sebastian Breuer, der Rettungsdienst Seetal steht derzeit öffentlich in der Kritik, diverse Medien (insbesondere der SB) haben über fehlende Bewilligungen und eine angespannte Personalsituation berichtet. Vergangene Woche haben Sie online eine Stellungnahme publiziert. Warum?
Sebastian Breuer:
Wir, das heisst ich und der Vorstand, haben uns zu dieser Stellungnahme entschlossen, weil wir das Gefühl haben, dass die Berichterstattung einseitig ist. Wir wollten die Lage aus unserer Sicht darstellen und teilweise richtigstellen, zudem ging es darum, zu zeigen, woran wir arbeiten und wohin wir wollen. Unser Ziel war, Transparenz zu schaffen. Einerseits intern, aber auch nach aus-sen. Wir entschieden deshalb, dieselben Informationen, welche wir unseren Leuten weitergaben, auch nach aussen zu tragen.

Warum haben Sie das nicht von Anfang an gemacht? Zum Zeitpunkt, als publik wurde, dass gegen den RD Seetal eine Aufsichtsbeschwerde vorliegt?
Das war vor meiner Zeit, darüber kann ich keine Auskunft geben.

Wollen Sie mit Ihrer offensiveren Kommunikation den ramponierten Ruf des RD Seetal verbessern?
Wir wurden von unseren Patienten auf Einsätzen angesprochen, was bei uns vor sich geht. Auch Anfragen erhielten wir deswegen. Wir erhoffen uns, durch die Transparenz Sicherheit bei der Seetaler Bevölkerung zu vermitteln und Vertrauen zu gewinnen. Obwohl das grundsätzlich nie weg war und wir grosse Solidarität vonseiten der Bevölkerung erfahren. Viele Leute äussern sich uns gegenüber positiv und hinterfragen die Berichterstattung der Medien kritisch.

Anfang August haben Sie beim Rettungsdienst Seetal als neuer Geschäftsführer begonnen. Wie haben Sie die Einarbeitungszeit durch Ihren Vorgänger Günther Becker erlebt?
Es war eine sehr wohlwollende, offene und transparente Einarbeitung gewesen. Wir machten anfangs eine Auslegerordnung und entschieden, wo die Prioritäten liegen. Darum habe ich mich gekümmert. Er hat mir Dossier um Dossier übergeben und ein- bis zweimal pro Woche fanden Feedbackrunden statt. Auch mit den beiden Co-Präsidenten Daniel Rüttimann und Nadja Blaser stand ich von Anfang an in sehr engem und regelmässigem Kontakt und erhalte durch den Vorstand den nötigen Rückhalt.

Sie sprachen die Prioritäten an. Ein heisses Thema war die fehlende IVR-Anerkennung, welche im Kanton Luzern Voraussetzung für die Betriebsbewilligung ist. Gehörte die Einholung der Bewilligung zu Ihren ersten Aufgaben?
Ja, mit der QM-Anerkennung vom Interverband für Rettungswesen habe ich mich als Erstes beschäftigt, da es zeitlich drängte.

Der RD Seetal hat die definitive Bewilligung vorher nicht erhalten, weil Ihr Vorgänger keine Rettungsdienstausbildung besass. Gab es weitere offene Punkte?
Insgesamt waren vier Punkte im Bereich Qualitätsmanagement offen. Dabei ging es um Einsatznachbesprechungen, Einsatzprotokolle, eine Studie zum Herzinfarkt, welche intern gemacht wurde, und die Behandlung von allergischen Reaktionen. Diese Daten waren vorliegend, was fehlte, war die Auswertung und Massnahmen, welche daraus beschlossen werden können. Inzwischen hat man die Daten vervollständigt, Schulungen durchgeführt, Formulare erstellt und den Prozess optimiert und angepasst.

Und das innerhalb von zwei Monaten. Da hatten Sie sicher viel zu tun.
Ja, es war sehr viel los.

Wussten Sie bei Ihrem Stellenantritt, dass diese Bewilligung fehlt?
Ja, das habe ich gewusst. Das wurde sehr offen und transparent kommuniziert. Ich habe zwar den aktuellen Stand sowie den Umfang und die Tiefe nicht genau gekannt, mir war aber klar, dass dieser Punkt sehr wichtig ist.

Und wie war das für Sie, als Sie realisierten, was noch alles zu tun ist, damit Ihnen im Oktober nicht die Betriebsbewilligung entzogen wird? Sind Sie erschrocken?
Nein. Es gibt ja nur eine Variante, man muss handeln. Als ich angefangen habe, konnte ich mir einen Überblick verschaffen und habe gesehen, dass die fehlenden Punkte weder elementar noch unlösbar für den RD Seetal sind.

Aber es ist schon erstaunlich, dass eine so wichtige Bewilligung derart lange verschleppt wurde.
Verschleppt würde ich nicht sagen. Es ist einfach verschoben worden. Auch aufgrund von verschiedenen Umständen wurde es nicht so behandelt ...

... wie man es hätte behandeln müssen. Wenn Sie nicht sofort gehandelt hätten, wäre im Oktober Schluss gewesen für den RD Seetal.
Das ist jetzt Interpretation. Dazu äussere ich mich nicht. 

Aber das ist ein Fakt.
Also. Ich bin gekommen, habe es gesehen und gelöst.

Eben. Sie mussten es lösen.
Ich musste es lösen. Das war eigentlich die erste Massnahme – und die wichtigste.

 

Wir brauchen zusätzlich drei bis vier Vollzeitstellen.
Sebastian Breuer
Geschäftsführer Rettungsdienst Seetal

 

Lösen müssen Sie auch das Personalproblem. Die Fluktuation beim RD Seetal beträgt 57 Prozent, gemäss Vorstandspräsident Daniel Rüttimann haben seit Anfang Jahr insgesamt 19 Personen den Rettungsdienst Seetal verlassen. Waren Sie bei Ihrem Stellenantritt diesbezüglich auch im Bild?
Nein.

Warum wurde Ihnen das nicht gesagt?
(Überlegt) Dazu kann ich nichts sagen. Vielleicht, weil es eine dynamische Entwicklung war.

Wurden Ihrer Meinung nach Fehler gemacht, die brisante Situation unterschätzt?
Das können Sie weder unter- noch überschätzen. Ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt, die Situation ist nun einmal so und wir müssen das Beste daraus machen. Es gibt meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten, wie man damit umgehen kann. Entweder jetzt noch lange darüber diskutieren und nichts erreichen oder handeln und etwas bewirken.

Was haben Sie bisher bewirkt?
Wir haben nun schnell Stelleninserate ausgeschrieben, relativ schnell versucht, jene Festangestellte, welche gehen wollen oder gegangen sind, teilweise als Freelancer zurückzugewinnen. Auch bei den Arbeitsstunden pro Woche wollen wir von 46 auf 42 runter und die derzeit vier Wochen Ferien erhöhen, um den Rettungsdienst für neue Mitarbeitende attraktiver zu machen. Alles sofort umsetzen ist aber nicht möglich.

Wie sieht denn die aktuelle -Personalsituation aus? 
Wir haben derzeit 12.5 Vollzeitstellen besetzt. Um auf das Leistungsniveau von Anfang 2021 zurückkehren zu können, brauchen wir zusätzlich drei bis vier Vollzeitstellen.

Der RD Seetal hat bisher stark auf Freelancer gesetzt, um Lücken zu füllen. Ist das auch Ihre -Strategie?
Nein, bei den Freelancern wollen wir langfristig zurückfahren. Und zwar aus arbeitsrechtlichen Gründen. Diese Leute arbeiten noch in anderen Betrieben und wir können nicht genau wissen, wie viele Stunden sie am anderen Ort schon leisten. Natürlich fragen wir nach und grundsätzlich ist jeder Mitarbeitende selber verantwortlich, dass er oder sie sich ans Gesetz hält. Primär sind wir als Arbeitgeber aber verantwortlich, dass nicht zu viel gearbeitet wird bei uns. 

Und das ist das Problem mit Free-lancern, weil diese von weit her kommen und daher lieber 24-Stunden-Schichten leisten würden, welche Sie gar nicht mehr einplanen dürfen.
Das ist so. Längere Schichten sind für diese Leute aus wirtschaftlichen Gründen lukrativer. Damit wir gesetzeskonform sind, machen wir das aber nicht mehr.

24-Stunden-Schichten gibt es beim RD Seetal also schon heute nicht mehr?
Das kann man so nicht sagen. Wir haben eine Dienstplanung, die bereits vor zwei Monaten geschrieben wurde. Wenn man jetzt wieder 24-Stünder verschiebt, braucht es plötzlich viel mehr Leute. Und das ist durch die personellen Engpässe nicht möglich. Wir haben diese Schichten in den vergangenen Monaten aber deutlich reduziert. Das konnten wir auch dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie dem kantonalen Arbeitsinspektorat (Wira) vorweisen.

Um die fehlende Seco-Bewilligung für Sonntags- und Nachtarbeit zu erhalten, müssen Sie die 24-Stunden-Schichten aber ganz aufgeben. Ab wann ist das geplant?
Bereits ab 1. November gibt es keine 24-Stunden-Schichten mehr. Wir halten uns ab diesem Zeitpunkt komplett an das geltende Arbeitsgesetz. Wir sind konform mit der 50-Stunden-Woche, jeden zweiten Sonntag haben die Leute frei und pro Woche arbeiten die Mitarbeitenden höchstens während drei Nächten. Auch die Ruhezeiten sind gesetzeskonform. Da halten wir uns jetzt strikt dran. Das ist die Basis, damit wir die Bewilligung ab 1. November erhalten.

Ausnahmen sind keine möglich?
Gemäss Seco darf man bei Krankheitsausfällen gewisse Stunden überschreiten, das ist aber genau festgelegt. Auch wenn Mitarbeitende Schichten tauschen wollen, muss dies gesetzeskonform sein. Da bin ich sehr strikt, dass dies eingehalten wird. Sie können sich vorstellen, wenn nun das Arbeitsinspektorat einem aufgrund des Dienstplans auf die Finger schaut, muss man damit rechnen, dass die Behörden in ein, zwei Jahren vorbeikommen. Wir können uns daher keine Nachlässigkeiten erlauben.

Was bedeutet das für die Mitarbeitenden, wenn die Regeln nun so penibel eingehalten werden müssen?
Das ist für sie sicher eine Umgewöhnung. Die 24- oder 36-Stunden-Schichten wünschen sich gewisse Mitarbeitende auch zurück. Das ist aber nicht mehr möglich.

Steigt damit die Gefahr, dass Sie noch mehr Leute verlieren, insbesondere Freelancer?
Ja, das ist so. Wir haben einen oder zwei Abgänge deswegen.

Auch deshalb wollen Sie den Fokus auf fest angestelltes Personal ändern?
Ja. Wichtig ist für mich, dass wir ein Team von Festangestellten zusammenbringen, die den Grundbetrieb aufrechterhalten. Das heisst, sie müssen die Hauptabdeckung sicherstellen. Personelle Engpässe oder Lücken wollen wir weiterhin mit Freelancern abdecken.

Sie sagten, drei bis vier zusätzliche Festangestellte wären wünschenswert. Erhalten Sie Bewerbungen?
Ja, trotz des ausgetrockneten Markts erhalten wir Bewerbungen. Ab November können wir zwei neue Leute einstellen. Zudem werde ich durch einen Stellvertreter unterstützt. Er beginnt ab 1. Dezember.

Die angespannte Personalsituation hat auch dazu geführt, dass in der Nacht nur noch ein Team ausrücken kann. Ist die Versorgung für die Seetaler Bevölkerung trotzdem gewährleistet?
Die Sicherheit für die Bevölkerung ist immer gegeben. Wir arbeiten ja mit den umliegenden Rettungsdiensten zusammen und wenn unser Team auf einem Einsatz ist, springt eines von diesen Blaulichtorganisationen ein. Das ist im Übrigen auch am Tag so. Wenn beide Teams weg sind, muss auch ein anderes einspringen. Man kann daher die Notwendigkeit nicht an der Anzahl zur Verfügung stehenden Teams festmachen, sondern an der Häufigkeit der Einsätze. Und da sehen wir, dass in der Nacht deutlich weniger Einsätze gefahren werden als tagsüber.

Ist das zweite Team in der Nacht also auch mit mehr Personal kein Thema mehr?
Das müssen wir analysieren. Von den Zahlen her sollte man das aber sicher überdenken. Auch aus finanziellen Gründen.

Bis wann werden Sie entscheiden?
Wir wollen das nun so schnell wie möglich analysieren. Schliesslich hat die Entscheidung Einfluss auf das Betriebsreglement, den Stellenschlüssel und die Soll-Arbeitszeit.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft. Wie und in welcher Form wird der RD Seetal die Fehler der Vergangenheit, insbesondere bezüglich dem Umgang mit dem Personal aufarbeiten?
Beim Personal muss man sicher analysieren, wie man künftig einer zu hohen Fluktuation entgegenwirken kann. Zur aktuellen Situation kann ich nichts sagen, aber ab nächstem Jahr will ich Statistik darüber führen. Mitarbeiter, welche unter meiner Führung kündigen, erhalten ein Austrittsgespräch. Ich will wissen, warum die Leute gehen.

War das vorher nicht so?
Das weiss ich nicht. Meiner Meinung nach gehört das aber zur Führung eines Betriebs dazu. Grundsätzlich braucht es sicher ein Monitoring. Auch bei den anderen Themen, welche in der Aufsichtsbeschwerde genannt wurden.

Zum Beispiel?
Nehmen wir das Thema Mobbing. Ich kann mich zur Vergangenheit nicht äussern, da ich mit den betroffenen Leuten nie gesprochen habe. Aber was können wir als Betrieb zum Thema Mobbing machen? Wir können Prozesse einführen, auf die Beschwerdestelle vom Kanton hinweisen, Fortbildungen organisieren. Als Betrieb kann ich Ihnen sagen, herrscht diesbezüglich Nulltoleranz. Falls solche Meldungen eingehen würden, gingen wir dem nach. Dafür fehlen aber derzeit die Prozesse. Grundsätzlich wollen wir einfach alles dafür tun, dass der Mitarbeitende nicht zu Schaden kommt und sich wohlfühlt.

von Jonas Hess

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