Soll die Gemeinde künftig an der Urne abstimmen?

Soll die Gemeinde Schongau künftig an der Urne oder an der Gemeindeversammlung abstimmen? Darüber diskutierte der ­Gemeinderat am Montagabend mit Stimmbürgerinnen und -bürgern. Viele ­äusserten sich kritisch gegenüber ­einer Urnenabstimmung.

Gemeindepräsident Thierry Kramis ging an der Veranstaltung auf die Vor- und Nachteile einer Urnenabstimmung ein. Foto: Milena Stadelmann
Milena Stadelmann

Das heutige Abstimmungssystem in Schongau bringt aus Sicht des Gemeinderates von Schongau verschiedene Probleme mit sich. Auf diese ging Gemeindepräsident Thierry Kramis am vergangenen Montagabend an der Informationsveranstaltung zum Thema «Urne statt Versammlung» ein. Rund 25 Schongauerinnen und ­Schongauer nahmen an der Veranstaltung in der Aula teil. «Die Teilnahme an der Gemeindeversammlung ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken», sagte Kramis vor den Versammelten. Im Frühling lag der prozentuale Anteil der anwesenden Bevölkerung bei rund 6,8 Prozent. Bei einer Urnenabstimmung hingegen habe die Stimmbeteiligung in den vergangenen Jahren ungefähr 50 bis 60 Prozent betragen – vorausgesetzt die kommunalen Abstimmungsunterlagen wurden zeitgleich mit den nationalen und kantonalen Abstimmungen verschickt. In der höheren Stimmbeteiligung sähe die Gemeinde Vorteile: Eine ausgeglichenere Meinungsbildung sowie den Einbezug von allen Altersgruppen. Insbesondere Jungbürgerinnen und -bürger aber auch ältere Menschen, die in der Mobilität eingeschränkt sind, könnten heute mit der Gemeindeversammlung nicht erreicht werden, erklärte Kramis. Der Gemeinderat wolle mit einem Wechsel zur Urnenabstimmung – auch wenn es zunächst paradox klinge – das politische Interesse in der Bevölkerung und die gemeinsame Diskussion fördern.

Informationsveranstaltungen und Gemeindeinitiativen

Der Gemeindepräsident erläuterte, wie das neue Abstimmungssystem von Schongau künftig aussehen könnte: Vor den Urnenabstimmungen fänden Informationsveranstaltungen statt, welche der Bevölkerung Raum gäben, um über die Geschäfte des Gemeinderats zu diskutieren. Die Veranstaltungen würden zwingend in der Gemeindeordnung verankert. Abgestimmt wird an der Urne – anonym und unabhängig von Ort und Zeit. Kramis: «Dadurch bleibt der Bevölkerung nach den Informationsveranstaltungen Zeit für private Diskussionen und Meinungsbildung.» Insbesondere durch die steigende Komplexität der Themen sei das ein Vorteil.

An einer Urnenabstimmung sehe die Gemeinde insbesondere einen Nachteil, sagte Kramis. Es wäre nicht mehr möglich, wie heute an den Gemeindeversammlungen, Anträge zu stellen. «Das birgt für den Gemeinderat die Gefahr, dass ein Geschäft als Ganzes abgelehnt wird, obwohl die Stimmbürgerinnen und -bürger nur mit einer Einzelposition nicht einverstanden sind.» Dieses Risikio nehme der Gemeinderat zu Gunsten einer breiter abgestützten Meinungsbildung in Kauf. Mit in der Gemeindeordnung verankerten Gemeindeinitiativen könnte die Bevölkerung weiterhin Anliegen beim Gemeinderat einreichen. Nötig sind dafür 50 Unterschriften. Damit überhaupt genügend Zeit bleibt, um Initiativen zu Geschäften einzureichen, wäre eine frühe Kommunikation zu Abstimmungsthemen vonseiten der Gemeinde unabdingbar. Dem sei sich der Gemeinderat bewusst, so Kramis. Man müsse aber auch sehen: Bei verschiedenen Themenbereichen sei das nicht möglich. «Gerade beim Budget sind der Gemeinde mehrheitlich die Hände gebunden», sagte Ivo Gerig, Gemeinderat für Finanzen, Gesundheit und Soziales.

Viele kritische Stimmen zur Urnenabstimmung

Bei der Diskussionsrunde hatte der Gemeinderat einen schweren Stand. Viele Voten aus dem Publikum fielen kritisch gegenüber einer Urnenabstimmung aus – einige gingen gar über das eigentliche Thema des Abends hinaus. So sahen die Anwesenden teilweise die fehlende Nähe zwischen Gemeinderat und Bevölkerung als Problem für die abnehmenden Teilnehmerzahlen an den Gemeindeversammlungen. Kramis zeigte sich selbstkritisch, erwiderte aber, dass die Gründe vielseitig seien. So würden die Geschäfte beispielsweise immer komplexer. Nichtsdestotrotz wurde aus der Versammlung die Befürchtung laut, dass sich der Gemeinderat mit einer Urnenabstimmung den Schongauerinnen und Schongauern nicht annähere, sondern sich weiter von ihnen entferne. Zudem wurde infrage gestellt, ob die Informationsveranstaltungen mehr Stimmberechtigte anlocken würden als heute die Gemeindeversammlungen. Eine Votantin merkte an, dass nicht alle Zeit hätten, um 50 Unterschriften für eine Gemeindeinitiative zu sammeln.

Ein weiteres Bedenken: Eine Urnenabstimmung führe nicht zu der gewünschten differenzierteren Meinungsbildung, sondern begünstige Mitläufer. So bestehe insbesondere bei Jungbürgerinnen und -bürgern die Gefahr, dass diese sich keine eigene Meinung bilden, sondern einfach so abstimmen würden, wie ihr Umfeld. An den Gemeindeversammlungen nähmen heute die Personen teil, die von den Abstimmungsthemen betroffen seien und sich dafür interessieren. «Diese sollen auch entscheiden dürfen», lautete ein Votum aus der Versammlung. Ansonsten gäbe es zwar mehr – dafür weniger qualitative Stimmen. Kramis erwiderte, dass aus Sicht des Gemeinderates nicht um die 50 Personen für 1100 Bewohnerinnen und Bewohner entscheiden sollen. Dem Argument, dass zusätzliche Stimmen nur von qualitativ tiefem Niveau seien, könne er nicht folgen.

Zu reden gab an dem Abend auch die Kommunikation des Gemeinderates. Einige äusserten den Wunsch nach einfacher formulierten und nachvollziehbareren Botschaften. Jemand merkte an, wie wichtig es sei, mit der Kommunikation auch die junge Bevölkerung abzuholen. In diesem Punkt waren sich alle Anwesenden einig.

Am 30. November wird an der Gemeindeversammlung in Schongau über einen möglichen Wechsel zur Urnenabstimmung entschieden.

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