«Ich hatte keine Wahl»

Nach 30 Jahren endlich der ersehnte Titel. Der englische Traditionsklub Liverpool konnte vergangenes Wochenende feiern und mit ihm Pavel Bucher (26), sein vielleicht grösster Fan südlich des Ärmelkanals.

Jonathan Furrer

Pavel Bucher, wie haben Sie denn Liverpools Meisterschaft gefeiert?
Wir wurden ja nicht direkt Meister. Der Titel kam durch eine Niederlage von Manchester City zustande, daher war die Feier nur im ganz kleinen Rahmen. Das Spiel schaute ich zusammen mit drei Freunden im Anfield Pub in Luzern.

Ein ideales Drehbuch hätte wohl vorgesehen, dass die Meisterschaft heute Abend in der Direktbegegnung gegen den Kontrahenten aus Manchester gefeiert wird.
Ja, definitiv. Das haben wir uns auch so vorgestellt. Entsprechend haben wir aber trotzdem für heute Abend abgemacht. Wir werden etwa 15 Personen sein, die heute Abend im Anfield anstossen werden.

Ihre persönliche Fussballkarriere ist weniger glamourös. Sie endete als A-Junior auf dem Hitzkircher Hegler. An was hat es gelegen?
Ein Kreuzbandriss beendete die Kar-riere. Aber wenn ich ehrlich bin: Bis in die Premier League wär ich sowieso nie gekommen.

Wie wird ein Seetaler statt Luzern- Liverpool-Fan?
Das hat mit meinem Vater zu tun, ich hatte gar keine Wahl. Er ist ein grosser Fan. Und was der Papi cool findet, findet man auch toll. Zur Erstkommunion bekam ich beispielsweise kein Ketteli oder so was Ähnliches, sondern ein Liverpool-Shirt vom damaligen Ausnahmetalent Michael Owen. Mittlerweile ist Liverpool mein grösstes Hobby. Nach den Spielen richtet sich meine Freizeit. Auch meine Freundin weiss: Wenn Liverpool spielt, ist auch bei schönstem Wetter nix mit Badi, dann sitze ich vor dem Fernseher. Oder noch besser im Stadion.

Für einen so grossen Fan müssen die vergangenen Monate ohne Fussball eine schlimme Zeit gewesen sein …
Ich habe den Fussball extrem vermisst. Sowohl im Stadion als auch vor dem TV. Aber auch mein Traineramt und die Junioren beim FC Hitzkirch. Nun bin ich extrem froh, dass er wieder zurück ist und hoffe natürlich, dass wir bald wieder ins Stadion können.

Sie sind ja aber nicht einfach ein TV-Coach-Fan, sondern fahren regelmässig nach Liverpool. Wie oft waren Sie schätzungsweise schon an der Anfield Road?
Es sind 30 Spiele an der Anfield Road, mit den Auswärtsspielen insgesamt 57. Mein erstes Liverpool-Spiel war 2002 in Horgen, ein Freundschaftsspiel gegen Wolfsburg. Das erstes Premier-League-Spiel sah ich 2011 in London bei Arsenal – Liverpool und mein grösstes Highlight: Der Champions-League-Final gegen Tottenham im vergangenen Jahr in Madrid.

Da ist es extrem schwierig an -Tickets zu kommen. Wie schaffen Sie es trotzdem immer wieder?
Das ist tatsächlich sehr kompliziert. Aber ich bin Vereinsmitglied und habe zwei Saisonkarten. Diese berechtigen mich aber nicht, immer am gleichen Ort zu sitzen. Um das ganze System zu erklären, brauchten wir eine Stunde.

Wie muss man sich eine typische Reise Pavel Buchers an einen Liverpool-Match vorstellen? Am Morgen hin, abends zurück?
Das Ziel ist es, keinen Ferientag zu brauchen. Das heisst: Am Samstagmorgen hin, am Abend der Match, Hotelübernachtung und am Sonntag zurück. Bei einem Sonntagsspiel fliegen wir dann am Montag zurück. Zeitlich ist es nicht möglich, am gleichen Tag hin- und herzufliegen.

Flüge, Tickets, Hotelübernachtungen – ein ziemlich teures Hobby. Auf was müssen Sie dafür verzichten?
Es ist in der Tat ein nicht gerade billiges Hobby, das ist so. Aber ich lebe sonst sehr sparsam, verzichte auf anderen Luxus oder gehe kaum in den Ausgang. Als ich mit meinem Studium vor zwei Jahren begann, habe ich mich entschieden, auf mein Auto zu verzichten und habe es verkauft. Mit dem Geld, welches ich da zum Beispiel spare, reise ich dafür immer wieder mal nach Liverpool und gönne mir ein Spiel meiner Reds.

Nicht nur bei Ihnen löst der FC Liverpool eine Faszination aus, er ist einer der beliebtesten Vereine überhaupt. Dies kann nicht nur mit den sportlichen Erfolgen zu tun haben, diese waren bis zum letztjährigen Sieg der Champions League in den vergangen Jahren ja ausgeblieben.
Gerade das macht es aus. Das Team hat so viele Male tragisch ein Finale verloren. All diese Niederlagen und Enttäuschungen tragen zur Beliebtheit bei. Sie machen solche Erfolge wie der Gewinn der Meisterschaft doppelt schön. Natürlich ist auch Anfield und die Hymne «You'll Never Walk Alone» ein Mythos. Doch ich glaube, das ändert sich nun auch ein wenig.

Was meinen Sie damit?
Der Klub war in den beiden letzten Jahren mit dem Gewinn der Champions League und der Meisterschaft ausserordentlich erfolgreich. Das zieht neue Fans an. Das kann ich beispielsweise beim FC Hitzkirch beobachten. Noch vor zwei Jahren lief kein Junior mit einem Liverpool-Shirt im Training rum, mittlerweile sieht man mindestens eines in jedem Team.

Bei Liverpool wird immer wieder behauptet, dass die Beliebtheit etwas mit der Bescheidenheit und mit dem kleineren Budget als die Konkurrenz aus Manchester oder London zu tun habe. Aber dieses Understatement ist doch ein Klischee. Liverpools Kader hat einen geschätzten Wert von fast einer Milliarde Euro, alleine Mo Salah einen Marktwert von 120 Mio.
Klar hat auch Liverpool viel, sehr viel Geld. Aber sie werfen damit nicht um sich. Beispielsweise haben sie im Vergleich zu den Meistern der vergangenen Jahre viel weniger für Transfers ausgegeben. Aber ich muss auch ein wenig aufpassen, was ich sage. Das Transferfenster hat ja noch nicht geöffnet (lacht).

Können Sie uns den typischen Scouser, wie sich die Liverpooler selbst bezeichnen, beschreiben?
Warmherzig, offen. Sicher eher der Arbeiter-Typ als ein Londoner. Liverpool ist auch eine verhältnismässig arme Stadt, die Leute haben nicht so viel Geld. Ich sehe das beispielsweise bei den Auswärtsspielen. Um 20, 30 Pfund zu sparen, nehmen die Fans lieber einen Flug mit Zwischenlandung als nonstop. Zum Champions-League-Final im vergangenen Jahr fuhren 25 000 mit dem Bus nach Madrid.

Wer über Liverpool spricht, muss auch über Jürgen Klopp reden. Er brachte den Erfolg. Wieso hat es mit ihm geklappt?
Ein Menschenfänger, aber auch eine Autoritätsfigur. Für ihn gehen die Spieler durchs Feuer. Er hat es geschafft, aus dem Team eine Einheit zu formen.

Xherdan Shaqiri hat den Durchbruch bei den Reds jedoch nicht geschafft. Weil er ständig verletzt ist, oder reicht es dem besten Schweizer in einem Team voller Weltklassespieler einfach nicht?
Es ist wohl beides. Natürlich hatte er auch ein schwieriges Jahr, war sehr viel verletzt. Aber auch wenn er topfit ist, reicht es ihm nicht für die ersten 14. Er wurde aber auch als Ergänzungsspieler geholt. Vielleicht muss auch er einsehen, dass er besser aufgehoben wäre bei einem Klub, der in Deutschland oder England um Rang vier oder fünf kämpft. Ich gehe davon aus, dass er den Verein nach dieser Saison verlassen wird.

Liverpool holte in dieser Saison bisher in 31 Spielen 86 Punkte, hat 23 Punkte Vorsprung auf das zweitplatzierte Manchester City. Viel mehr geht wohl nicht. Oder ist in der kommenden Saison noch eine Steigerung möglich?
Kaum. Das kann ich mir nicht vorstellen. Das waren bisher bloss sechs Verlustpunkte – punktemässig ist nichts mehr möglich.

Das Team scheint auf jeder Posi-tion perfekt besetzt zu sein, oft gar doppelt. Trotzdem: Gibt es einen Spieler, den Sie sich an der Anfield Road wünschen?

Das stimmt so nicht ganz. Sie sind nicht auf jeder Position doppelt besetzt. Beispielsweise wäre sicher noch Platz für einen weiteren guten Aussenverteidiger. Wir hatten diese Saison extrem Glück mit Verletzungen. Aber man muss schon sehen, dass hinter dem Sturmtrio Salah, Mané und Firmino kein Weltklassespieler mehr kommt, wobei wir wieder bei Shaqiri wären. Daher könnte beispielsweise ein Kylian Mbappé dem Team definitiv noch weiterhelfen.


Nachdem wegen Corona im Frühjahr die Meisterschaften gestoppt wurden, gelobten viele Fussball-Manager Besserung. Der Fussball solle nun gesunden. Von Salery Cap, also einer Lohnbegrenzung, und einer -Reduzierung des Spielplans war die Rede. Glauben Sie, dass es so weit kommt?
Man sagt seit 20 Jahren, dass es so nicht weitergehen kann. Und trotzdem wird es immer mehr und mehr. Ich persönlich bin der Meinung, dass der Bogen bereits überspannt ist. Man schadet dem Fussball mit dieser Überladung des Programms. Ich könnte gut mal eine Woche auf Fussball verzichten.

Tatsächlich musste Liverpool im Dezember wegen Terminkollisionen innert zwei Tagen zwei Spiele auf zwei Kontinenten austragen. Das ist absurd.
Das Problem ist klar, das ist zu viel. Das System funktioniert nicht mehr. Aber solange so viel Geld verdient werden kann, wird es wohl so weitergehen.

Immer mehr Spiele bei immer höherer Intensität. Jürgen Klopp hat diesen Winter die Überbelastung der Fussballspieler kritisiert. Wie glaubhaft ist diese Kritik, er ist ja selber Teil des Systems?
Für mich ist er glaubhaft, ihm liegt sicher viel an seinen Spielern. Aber klar, auch er profitiert von diesem System und verdient entsprechend viel Geld.

Aber diese Entwicklung vergrault Ihnen nicht die Freude am Fussball oder hält Sie vom Stadionbesuch ab?
Wenn das Spiel beginnt, ist der ganze Kommerz für mich kein Thema mehr. Aber ich sehe das Ganze schon sehr kritisch. Aber ich war schon vor fünf, sechs Jahren im Stadion, als Liverpool keinen erfolgreichen Fussball spielte. Wenn die Konkurrenz Geld ausgibt, muss es Liverpool auch tun, um erfolgreich zu sein. Das musst du als Fan des modernen Sports akzeptieren und wenn ich das nicht könnte, so würde ich wohl vermehrt die Spiele der 1. Mannschaft in Hitzkirch besuchen als Liverpool an der Anfield Road.

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