«Wir fühlen uns super wohl»

Seit fast einem Jahr ist der Ballwiler Thomas Häberli Nationaltrainer von Estland. Wie sich seine Familie im baltischen Staat eingelebt hat, wie es um seine Sprachkenntnisse steht und was er mit der estnischen Nati erreichen konnte, erzählt «Häbi» im Interview mit dem Seetaler Boten.

André Widmer

Thomas Häberli, wo erwischen wir Sie gerade?

In Engelberg. Wir fahren mit der ganzen Familie Ski. Wir sind noch bis am 8. Januar in der Schweiz, dann fliegen wir zurück nach Estland, weil am 10. Januar für die Kinder wieder die Schule beginnt.

 

Bei unserem Gespräch im Mai, sprachen Sie sehr positiv von Estland und den Esten. Im Sommer zog auch Ihre ganze Familie nach Tallinn. Sie sagten damals, alle freuten sich auf das «Abenteuer».Abgesehen vom Sportlichen, wie fällt Ihr Fazit nach fast einjährigem Abenteuer aus?

Sehr, sehr gut. Wir fühlen uns super wohl in Estland. Wir leben in Tallinn und geniessen die Vorzüge einer Grossstadt. Die Tage im Sommer waren sehr lang, dafür ist es nun im Winter sehr dunkel. Daher ist es auch sehr schön, derzeit in der Schweiz zu sein, es ist die perfekte Abwechslung.

 

Die estnische Sprache soll nicht gerade leicht sein. Wie schlagen Sie sich?

Das ist so. Beispielsweise gibt es im Estnischen 14 Fälle. Aber wir lernen die Sprache, denn wir wollen uns integrieren. Allerdings klappt auch alles auf Englisch. Hier ist das meiste dreisprachig angeschrieben – Estnisch, Russisch und Englisch – und Englisch spricht fast jeder.

 

Kommen wir zum Sportlichen.Wenig überraschend schaffte es Estland nicht, sich für die WM im kommenden Jahr in Katar zu qualifizieren. Dafür waren die Gegner wie Belgien, Tschechien und Wales zu stark. Die Qualifikation begann mit 3 Niederlagen und 15 Gegentore denkbar schlecht …

Die ersten beiden Spiele zähle ich nicht zur Bilanz, ich war ja nicht dabei. Es waren coronabedingt sehr spezielle Umstände, das «normale» Team und der ganze Trainerstaff waren bei beiden Spielen in Quarantäne. Das erste Heimspiel gegen Tschechien fand in Polen statt. Die Mannschaft und der neue Trainerstaff wurde 36 Stunden vor Anpfiff neu zusammengestellt. Ich war im Hotel in Tallinn und schaute die Spiele am Fernsehen. Die Coronaregeln in Estland erlaubten uns nicht, fair in die WM-Quali zu starten und dies gegen die beiden auf dem Papier einfachsten Gegner Tschechien und Weissrussland .

 

Im Herbst spielten dann die stärksten estnischen Spieler und Sie waren auch dabei. Die Defensive liess in den folgenden fünf Partien zusammen nur noch sechs Treffer zu. Was konnten Sie konkret ändern?

Wir spielten aggressiver gegen den Ball und hatten dadurch mehr Ballbesitz. Wir spielten immer mit zwei Stürmern und erzielten dadurch auch einige Tore und waren in den Umschaltphasen stets gefährlich. Dies zahlte sich aus und widerspiegelte sich in guten Leistungen.

 

Sie liessen Belarus ‒ dank eines 2:0-Sieges ‒ in der Tabelle hinter sich und holten schlussendlich 4 Punkte. Vor der Qualifikation sagten Sie, alles andere als der letzte Platz wäre ein grosser Erfolg. Sind Sie somit mehr als zufrieden oder wäre gar noch mehr möglich gewesen?

Wir sind sehr zufrieden mit den Resultaten im Herbst. Insbesondere das 0:0 gegen Wales war ein grosser Erfolg und kostet Wales einen möglichen Gruppensieg. An den Resultaten gemessen wäre realistischerweise wohl nicht viel mehr drin gelegen, da wir im Herbst zweimal Belgien, zweimal Wales und einmal Tschechien hatten. Gegen Weissrussland konnten wir ja gewinnen.

 

Wie geht es im neuen Jahr fussballerisch weiter?

Wir spielen im März in der Nations Lea-gue das Playout um den Verbleib in der Gruppe C gegen Zypern. Dies als Folge der Leistungen von 2020 als man kein Spiel in der Gruppe C gewann. Wir wollen in der Gruppe C bleiben. Die Gegner sind bekannt und mit Nordirland, Griechenland und Kosovo von einer anderen Qualität als in der Gruppe D, wo Malta und San Marino warten würden. Der März ist für uns sehr wichtig. Zypern ist ein schwieriger Gegner, in zwei Spielen ist alles möglich.

 

Über die Hälfte ihrer Spieler sind bei Flora Tallinn engagiert, diese zu beobachten ist für Sie einfach. Ihr Ziel war es aber auch, die Nationalspieler, welche in Schweden und Dänemark engagiert sind, vor Ort zu besuchen. Ist Ihnen dies trotz den Corona-Massnahmen genügend gelungen?

Im Sommer war es gut möglich zu reisen und ich war entsprechend unterwegs. Allerdings waren meine Spieler zu diesem Zeitpunkt nicht Stammspieler in ihren Vereinen. Das hat sich nun aber geändert; dank der guten Leistungen bei der Nationalmannschaft spielen einige im nächsten Jahr in neuen, besseren Vereinen.

 

Ihr alter Arbeitgeber, der FC Luzern, liegt in der Super League am Tabellenende. Ihr Nachfolger Fabio Celestini wurde im November entlassen. Verfolgen Sie den Schweizer Fussball nach wie vor, respektive wie schätzen Sie die Entwicklung beim FCL ein?

Natürlich verfolge ich den Schweizer Fussball nach wie vor. Zu meiner Zeit in Luzern spielten wir mit vielen einheimischen und jungen Spielern, das hat sich nach mir stark verändert. Man war sehr aktiv auf dem Transfermarkt. Ebenfalls war der Verwaltungsrat stark zerstritten. Es ist sehr positiv, dass mit dem neuen Präsidenten und neuen Verwaltungsrat nun Ruhe eingekehrt ist. Fabio konnte bis zur Entlassung in Ruhe arbeiten. Ein riesiger Erfolg war sicher auch der Cupsieg. Im Moment hoffe ich schwer, dass man das Ruder noch herumreissen und den Abstieg vermeiden kann.

 

Sie haben in Estland einen Zweijahresvertrag unterschrieben, das erste Jahr ist nun vorbei. Gibt es schon Überlegungen oder Pläne über 2022 hinaus?

Ja, da gibt es gute Neuigkeiten. Ein neuer Vertrag liegt bereit, wir werden ihn im Januar unterzeichnen.

(Autor: Jonathan Furrer)

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