SB-Gspröch Fabio Scherer

Zwischen Wachstum und Rückgang

Die einen Gemeinden im Lesergebiet vom «Seetaler Bote» verzeichneten im vergangenen Jahr ein Plus bei den Bevölkerungszahlen, andere ein Minus. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Damian Müller und Melanie Scherrer leben seit Juni des vergangenen Jahres in Sulz.
Milena Stadelmann
 
von Milena Stadelmann

Zwei Personen, die im Seetal ein neues Zuhause gefunden haben, sind Damian Müller und Melanie Scherrer. Das Paar lebt seit Ende Juni in Sulz. Zwischen dem neuen und alten zuhause von Müller liegen zehn Kilometer – bei Scherrer sind es über hundert. Der 27-Jährige wohnte zuvor in Ligschwil, wo er aufgewachsen ist. Scherrer kommt aus Nesslau (SG). «Im Toggenburg ist es sicher auch schön. Aber ich wollte im Seetal bleiben», sagt Müller. Das sei eigentlich schon immer klar gewesen, pflichtet Scherrer bei. Erst recht, als der Landschaftsgärtner Anfang 2020 die Süess Gartenbau AG in Ermensee übernahm. Scherrer arbeitet als Sozialpädagogin in Hohenrain.

Im Vergleich zu den anderen Gemeinden im Lesergebiet vom «Seetaler Bote» hat Hitzkirch im vergangenen Jahr das grösste Wachstum verzeichnet (siehe Tabelle). Der Hauptgrund für den Anstieg ist die Fusion Anfang 2021 mit Altwis. Dadurch ist die Gemeinde um 415 Personen gewachsen – zusätzlich verzeichnete der Einwohnerbestand Ende 2021 gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 65 Personen. Eine Bevölkerung wächst, wenn es mehr Geburten als Todesfälle und/oder mehr Zu- als Wegzüge gibt.

Einwohnerbestand, gemeldet von den Gemeinden im Lesergebiet.
Grafik: mos

Wohnen in ländlicher Lage

Mit ihrem Zuzug haben Scherrer und Müller dazu beigetragen, dass Hitzkirch im vergangnen Jahr die 6000ste Einwohnerin begrüssen durfte (der Seetaler Bote berichtete). «Für uns wäre auch der Umzug in ein anderes Dorf im Seetal infrage gekommen», sagt Müller. Ausschlaggebend für Sulz sei schlussendlich die Wohnung an der Lielistrasse gewesen. Scherrer: «Wir haben uns hier sofort wohlgefühlt.» Die Erstbezugswohnung ist modern, offen gebaut und bietet einen Ausblick auf die Berge und den Baldeggersee. Ein Pluspunkt für Müller: Die Lage über dem Nebel. «Das Leben in so einer ländlichen Gegend ist sicher nicht für jeden etwas», sagt Scherrer. «Aber für uns stimmt es so.» An der Lage geniessen die beiden die Ruhe und die Nähe zur Natur. An dem Dorfleben die Gemeinschaft und die persönliche Beziehung zu den Nachbarn. Nach dem Einzug seien sowohl Nachbarn als auch Vereine aktiv auf das Paar zugekommen. Müller ist der Feuerwehr in Hitzkirch beigetreten. «So haben wir uns sehr schnell eingelebt.»

Einen Nachteil habe das Zuhause über dem Nebel allerdings: Eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr gibt es im Dorf nicht. «Man ist auf das Auto angewiesen», sagt die Sozialpädagogin. Das sei aber eine Frage der Organisation. Ob in dem Dorf sonst noch etwas fehlt? «Vielleicht ein Dorflädeli», sagt Müller. «Oder ein Café», ergänzt Scherrer. Es gehe aber auch gut ohne diese Dinge, findet das Paar. «Man ist ja trotzdem nicht abseits von der Welt und noch relativ zentral», sagt er. «Hitzkirch hat sehr viel zu bieten und von da aus ist man mit der S9 schnell in Luzern.» Die Lage der Gemeinde sieht auch David Affentranger, Gemeindepräsident von Hitzkirch, als Attraktivitätsmerkmal. «Hitzkirch liegt nicht einfach auf dem Land, sondern inmitten vom Metropolitanraum Zürich, Wirtschaftsraum Nordwestschweiz und Luzern.» Alle drei Regionen seien als Arbeitsort gut erreichbar. Für Affentranger kam der Anstieg der Einwohnerzahlen im letzten Jahr nicht überraschend. «Das Wachstum widerspiegelt den Trend, dass viele Menschen wieder vermehrt auf dem Land wohnen wollen.» In Hitzkirch würden sich Arbeiten, Wohnen und Erholen die Waage halten, bedingt durch die Fusionen sei die Gemeinde sehr vielfältig. «Dadurch hat es bei uns für jeden Geschmack etwas dabei.» Ob es dadurch in Zukunft noch mehr Menschen nach Hitzkirch ziehen wird? «Wir verfolgen sicher nicht das Ziel, extrem zu wachsen», sagt Affentranger. Gemäss dem Aufgaben- und Finanzplan rechnet die Gemeinde mittelfristig mit demselben Einwohneranstieg, wie in den vergangenen Jahren. «Wünschenswert wäre ein adäquates Wachstum, welches von Bevölkerung und seitens Infrastruktur verdaut werden kann.» Aufgrund der Baulandreserven und «insbesondere den anstehenden Projekten lässt sich dies seitens Gemeinde jedoch schwer steuern». Deshalb sei es deren Aufgabe, gut hinzuschauen, um allfällige strukturelle Engpässe frühzeitig zu erkennen. Affentranger: «Gerade im Bereich der gemeindeeigenen Immobilien wie den Schulliegenschaften werden wir in Zukunft gefordert.» 
Bezug von neuen Wohnhäusern

Wird die Fusion von Hitzkirch ausser Acht gelassen, hat Inwil im letzten Jahr das grösste Wachstum verzeichnet. Laut Gemeindepräsident Josef Mattmann ist dies zum einen auf einen Geburtenüberschuss, hauptsächlich aber auf die fertiggestellten Wohnhäuser in den Quartieren Sonnhof Park und Utigenstrasse zurückzuführen. Die meisten der neu erstellten Wohnungen seien bereits bezogen. «In den nächsten Jahren gehen wir von einem geringen Bevölkerungswachstum aus», sagt Mattmann. Die Bauzonen seien gemäss der Gesamtrevision der Ortsplanung von 2019 auf ein Wachstum von etwa einem Prozent in den nächsten 15 Jahren ausgelegt worden. «Dieses Wachstum soll hauptsächlich im Bebauungsplangebiet Schützenmatt stattfinden.» Der Bezug der ersten Etappe werde frühestens im Jahr 2026 erfolgen. Mattmann: «Dann werden wieder höhere Wachstumswerte erwartet.»

Neben Inwil sind auch Eschenbach, Aesch, Schongau und Hochdorf im vergangenen Jahr gewachsen. Trotz einem Todesfallüberschuss von 21 Personen, stieg die Bevölkerungszahl von Hochdorf um 34 Personen an. Ein Jahr zuvor gab es noch einen Geburtenüberschuss von 37. Mit dem Wachstum kommt die Gemeinde der statistischen Grenze von 10’000 Einwohnern, welche sie zu einer Stadt machen würde, immer näher. In den letzten sechs Jahren wuchs Hochdorf um etwa 200 Personen. Dieser moderate Anstieg lässt sich mit der Initiative «Hochdorf wächst langsam» begründen, welcher die Bevölkerung 2015 zugestimmt hat. Mit dem neuen Bau- und Zonenreglement – die Variante 2 wurde 2020 angenommen und ist seit August 2021 in Kraft – ist eine massvolle Verdichtung nach innen möglich. Die Schaffung neuer Bauzonen, also Einzonungen, sind auf Grundlage der Initiative beschränkt. Vor der Annahme des Reglements seien Baugesuche eher zurückbehalten worden, sagt Gemeindepräsidentin Lea Bischof-Meier. «Dies ist mit ein Grund, weshalb das Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren geringer war.» Hochdorf habe in der Gemeindestrategie 2017 bis 2029 positioniert, ein attraktives Zentrum des Kantons Luzern sein zu wollen. Ein qualitativer Anstieg der Bevölkerung sei damit verbunden. Bischof: «Dies ist nötig, damit die Qualitäten von Hochdorf auch in Zukunft beibehalten werden können. Kein Wachstum bedeutet Stillstand.» Als siebtgrösste Gemeinde des Kantons und als Zentrum der Landschaft, stehe Hochdorf gemäss kantonalen Vorgaben ein Wachstum zu. In den nächsten zwei bis drei Jahren gehe die Gemeinde von einem jährlichen Anstieg der Einwohnerzahlen von mindestens 0.5 Prozent aus. Der Kanton würde mehr zulassen. «Wenn sich das Wachstum gemäss Kennzahlen entwickelt, die Geburtenzahlen stabil oder leicht höher werden und keine herausfordernde Zeit mit Todesfallüberschuss mehr Tatsache sein wird, kann Hochdorf etwa im Jahr 2024 die 10’000 Marke erreichen», sagt Bischof. Hochdorf bleibe aber auch dann das, was Hochdorf ausmache: «ein attraktives Zentrum – gemäss dem Claim der Gemeinde, sogar mehr als ein Zentrum».

Kein freier Wohnraum, hohe Preise

Die Hälfte von den zwölf Gemeinden im Lesergebiet vom «Seetaler Bote» sind im vergangenen Jahr nicht gewachsen. Den grössten Rückgang bei den Einwohnerzahlen verzeichnet Hildisrieden. Damit hat Gemeindepräsidentin Monika Emmenegger nicht gerechnet: «Es handelt sich dabei um einen statistischen Ausreisser, der sich kaum erklären lässt.» Ein Jahr zuvor wuchs die Gemeinde um 136 Personen. Ihrer Meinung nach seien in Hildisrieden alle Voraussetzungen für einen attraktiven Wohnort gegeben. Tatsächlich gebe es in der Gemeinde aber kaum freien Wohnraum, die Preise für Mietobjekte und Wohneigentum seien «sehr hoch». «Da spielt leider der Markt, den wir als Gemeinde kaum beeinflussen können.»

Da Hildisrieden in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nicht mehr einzonen kann, werde das Wachstum laut Emmenegger in den nächsten Jahren moderat sein. Das sei auch im Interesse der Bevölkerung. «Ein Grossteil ist mit der heutigen Situation zufrieden und möchte nicht mehr weiterwachsen.» Gemäss der Gemeindestrategie rechnet Hildisrieden bis 2030 mit 2600 Einwohnern. Das sei nach wie vor realistisch. «Mit dieser Entwicklung kann auch unsere Infrastruktur Schritt halten.» Fazit: Es lebten trotz des gesunkenen Einwohnerbestands in einigen Gemeinden 2021 mehr Menschen in der Region als im Vorjahr.

9000 Einwohner mehr in 20 Jahren

 

Die ständige Wohnbevölkerung im Lesergebiet vom «Seetaler Bote» ist gemäss Sibylle Haas von Lustat Statistik Luzern zwischen 2000 und 2020 um rund 9000 Personen gewachsen (siehe Grafik). Dieses Wachstum von 30 Prozent übertreffe im gleichen Zeitraum jenes des Gesamtkantons um zehn Prozentpunkte. Die Region Michelsamt/Surental verzeichnete im Vergleich ein leicht tieferes Bevölkerungswachstum, Sursee/Sempachersee ein höheres.

Das Wachstum im Lesergebiet sei sowohl auf mehr Geburten als Todesfälle sowie mehr Zu- als Wegzüge zurückzuführen, sagt Haas. Allerdings nahm die Zahl der Zuzüge zwischen 2015 und 2019 tendenziell ab, während die Wegzüge zunahmen. Im Jahr 2019 wurden im Lesergebiet vom «Seetaler Bote» seit 1999 erstmals mehr Weg- als Zuzüge registriert. Haas: «2020 lag das Wachstum aber mit 1.2 Prozent wieder auf relativ hohem Niveau. Demnach hat sich der Rückgang der Wachstumsraten, der zeitweise stattfand, im Jahr 2020 leicht erholt.» Aus den gemeldeten Zahlen der Gemeinden für das Jahr 2021 kann Lustat noch keinen definitiven Schluss auf die Wachstumsrate im Vergleich zum Vorjahr ziehen. Diese müssen zuerst gemäss den Kriterien der ständigen Wohnbevölkerung aufbereitet werden. Diese umfasst alle schweizerischen Staatsangehörigen mit einem Hauptwohnsitz in der Schweiz sowie alle ausländischen Staatsangehörigen mit einer Anwesenheitsbewilligung für mindestens 12 Monate oder ab einem Aufenthalt von 12 Monaten. Gemäss den Bevölkerungsszenarien von Lustat wird davon ausgegangen, dass die ständige Wohnbevölkerung im Lesergebiet bis 2050 auf rund 43 000 Einwohnerinnen und Einwohner ansteigt. 2020 waren es etwas über 37 800. «Das Wachstum wird sich voraussichtlich über den gesamten Zeitraum stetig abschwächen», sagt Haas. Das habe zwei Gründe: Die Sterbezahlen steigen infolge der zunehmenden Alterung der Bevölkerung und die Zuzüge werden im Vergleich zu den Wegzügen weiter abnehmen. Für den gesamten Kanton Luzern wird eine ähnliche Entwicklung erwartet, jedoch auf höherem Niveau. «Inwiefern diese Berechnungen sich bewahrheiten, hängt nicht nur von Geburten, Sterbefällen und Wanderungen, sondern auch von dahinterstehenden Annahmen wie der Lebenserwartung, Bildungsverhalten oder Familiengründung ab.» mst

* Inbegriffene Gemeinden: Hitzkirch, Inwil, Eschenbach, Hochdorf, Aesch, Römerswil, Rain, Hohenrain, Ballwil, Ermensee, Schongau und Hildisrieden. Der Perimeter ist nicht identisch mit der Analyseregion Seetal, welche auf Lustat ausgewiesen wird. 
Grafik: mos

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