SB-Gspröch Fabio Scherer

Mehr Wurzeln als Flügel

Er sei in Hitzkirch sesshaft geworden, sagt Oswald Müller. 45 Jahre hat der Heilpädagoge an der Primarschule unterrichtet. Demnächst geht er in Pension.

Werner Rolli

Er habe «eher Wurzeln als Flügel», sagt Oswald Müller über sich selbst. Man könnte den Satz auch so deuten: Es gefällt ihm ausserordentlich gut im Luzerner Seetal. Der passionierte Radfahrer schätzt die Aussicht auf die Berge und ist aber gleichzeitig froh, dass die Steigungen nicht allzu steil sind. In Romoos im Napfgebiet, wo er aufwuchs und gelegentlich nach Gold schürft, wäre das nicht so einfach, sagt er. Vor 50 Jahren besuchte er das Lehrerseminar in Hitzkirch. «Danach wurde ich als Primarlehrer in Hitzkirch angestellt», erinnert er sich. Gleichzeitig wurde er angefragt, ob er an einer Zusammenarbeit mit dem Seminar interessiert wäre: «So begann ich Demolektionen für Studierende zu entwickeln und betätigte mich als Übungsschullehrer.» Noch heute denkt er gerne an seine Zeit im Lehrerseminar zurück, ist voll des Lobes über den Zusammenhalt.

Analysieren und entwickeln
Er erinnert sich gerne an seine erste Schulklasse, sogar an einzelne Schüler, die er heute noch im Dorf antrifft. Seine Spezialität war die Kleinklasse. Diese hat er nach einem Jahr Auszeit übernommen, weil er es liebt, Lernschwierigkeiten zu analysieren und Lernhilfen und Förderprogramme zu entwickeln: «Es ist eine persönliche Herausforderung, herauszufinden, wie ich etwas erklären muss, wie ich jemanden befähigen kann, eine Aufgabe zu lösen», sagt er und fügt an: «Im Umgang mit Kindern ist es wichtig, sich gut vorzubereiten und trotzdem im Unterricht möglichst flexibel zu bleiben.» Beliebt bei seinen Klassen war stets die Insektenart Phylliidae – auch als wandelnde Blätter bekannt – die er in seinem Terrarium züchtete.

Das Hinterfragen seiner eigenen Arbeit, das konstante Analysieren, seine Neugier, all dies habe ihm über seine 45 Jahre dauernde Laufbahn geholfen, die Freude am Beruf zu erhalten. Ausgleich fand er vor allem im Sport, vor allem beim Velofahren. Er sei nie ein «verbissener» Rennfahrer gewesen, sagt er. Am liebsten fahre er Touren, gerne auch länger, wie etwa dem Rhein entlang. Zudem liest er gerne, sei es eine Zeitung oder ein gutes Buch. Und «seit es Podcasts gibt, höre ich da leidenschaftlich gerne zu.» Gerne möchte er jetzt nach der Pensionierung seine Fremdsprachenkenntnisse aufpolieren.

Haben Kinder, die unter Lernschwierigkeiten leiden, heute andere Probleme als früher? «Die Symptome sind ähnlich», sagt Oswald Müller. Hingegen haben sich die Rahmenbedingungen verändert. Die Arbeit in der integrativen Förderung unterscheidet sich stark von jener in den Kleinklassen.

Arbeit mit Kindern braucht Zeit
«An oberster Stelle steht meine Beziehung zu den Kindern. Doch braucht es für die Arbeit mit diesen Kindern auch genügend Zeit. Diese Zeit hatte ich in den Kleinklassen. Bei der integrativen Lösung arbeite ich mehr punktuell, weil ich parallel drei Klassen betreue. Das Pensum beträgt aber nicht 100 Prozent, dadurch habe ich weniger Zeit, als ich mir wünschen würde», sagt er. Einzelne Kinder benötigen aber eine permanente Begleitung, was in den Kleinklassen noch eher möglich war, sagt Müller dazu. Als Heilpädagoge kann er die ganze Klasse unterstützen und auch für die Förderung besonders begabter Kinder sorgen. Feststellbar ist eine Zunahme von verhaltensauffälligen Kindern. Deshalb bräuchten die Klassenlehrer mehr Unterstützung. Integrative Förderung muss aber mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet sein, konkret wären dies höhere Pensen für Heilpädagogen. Oswald Müller plädiert nicht für eine Rückkehr zur Kleinklasse, jedoch für bessere Rahmenbedingungen auf der Volksschule. Er sagt: «Es ist notwendig, ausreichende Förderangebote auch für jene Kinder zu schaffen, welche integrativ ungenügend geschult werden können. Zudem würde nur eine statt zwei Fremdsprachen in der Primarstufe Entlastung bringen.»

Oswald Müller versteht, dass Eltern für ihre Kinder ein möglichst hohes Bildungsniveau wünschen. Er beobachte aber, dass Kinder, die Lernschwierigkeiten hatten, am Ende sehr gute Berufsleute geworden seien, weil sie wichtige personale und soziale Kompetenzen entwickelt hätten und durch Ausdauer und Motivation erfolgreich eine Lehre abschliessen konnten. Man dürfe aus dieser Perspektive die rein fachlichen Schulleistungen deshalb nicht überbewerten.

Oswald Müller blickt seiner bevorstehenden Pensionierung locker entgegen. Er vermutet, dass er den täglichen Kontakt zu Kindern und Berufskollegen vermissen wird. Er hat sich selbst aber ein Ziel gesetzt. Zum Einstieg in seine Pension möchte er mit dem Fahrrad durch Deutschland von der Nordsee nach Hitzkirch fahren.

 

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