«Die Debatte in der Session ist das Schaulaufen»
Heute Morgen habe er sich vorbildlich verhalten, sagt Bundesparlamentarier Peter Schilliger (FDP) und lächelt. Das sei bei all dem Essen und Trinken während einer dreiwöchigen Session in Bern zuweilen auch nötig. Bereits um sechs Uhr verliess er sein Hotelzimmer, ging eine Stunde an der Aare laufen, machte Gymnastik und war eine Viertelstunde vor Sessionsbeginn im Bundeshaus. Um bereit zu sein, als um acht Uhr das traditionelle Glöcklein jeweils den Debattenbeginn im Nationalratssaal signalisiert.
Auch an diesem Mittwochmorgen zeigte sich im Plenum ein gewohntes Bild. Um diese Zeit war rund ein Drittel der Mitglieder der grossen Kammer anwesend. «Meistens sind die Sessionstage so strukturiert, dass sie von einem Bundesrat begleitet werden», erklärt Schilliger. Diesmal stand die Gesundheits- und Sozialpolitik im Fokus. Den «Berset-Tag» bestimmte das Thema AHV-Revision. In der Frühlingssession debattierte bereits der Ständerat übers Geschäft. Nun nahm der Nationalrat Anlauf, um ein mehrheitsfähiges Paket zu schnüren. Dabei zog sich der Zankapfel «Erhöhung des Rentenalters für die Frau auf 65 Jahre» wie ein roter Faden durch den Vormittag. Die Voten folgten Schlag auf Schlag. Wobei die unterschiedlichen Positionen von Links bis Mitte-Rechts mehrheitlich bezogen schienen.
Viele Parlamentarier klinken sich in diesen Momenten kurz aus, auch Peter Schilliger. Man trifft ihn in der Galerie des Alpes, im Bundeshaus-Restaurant. «Es gibt Geschäfte», sagt er, «wo man nicht federführend ist, sie schon in der Fraktion behandelt hat.» Dazu gebe es einen Leaderbericht der Partei, ebenfalls eine Abstimmungsempfehlung. Da ist eine permanente Anwesenheit nicht notwendig. Die Debatte ist klar strukturiert, man weiss: Bis zur nächsten Abstimmung geht es ein- bis eineinhalb Stunden. In dieser Zeit können sich Parlamentarier zurückziehen, ein Geschäft vorbereiten, anstehende Arbeiten erledigen, Interviews führen.
Der Zankapfel sind die Kosten
Bei der Debatte zur AHV-Rente hat Schilliger eine klare Meinung. «Das Geschäft muss und darf uns – speziell in einer Übergangszeit – etwas kosten, allerdings nicht um jeden Preis. Wir haben zwar mehr Ausgaben, nehmen aber auch wesentlich mehr ein, weil die arbeitstätigen Frauen ein Jahr länger Beiträge leisten», sagt er. Wobei Schilliger auch erklärt: «Natürlich sei die Tendenz bei den Kosten aus bürgerlicher Sicht eher etwas weniger hoch, trotzdem könne er mit dem Kompromiss leben, den die Sozial- und Gesundheitskommission eingebracht habe.»
Schilliger ist Unternehmer und Mitglied der Finanzkommission (FK-N). Da interessieren ihn selbstverständlich auch die monetären Covid-Auswirkungen der Pandemie. «Wir geben für Kurzarbeitsentschädigung, für Impfmaterial, fürs Testen oder für Zuschüsse in die Wirtschaft rund 35 bis 40 Milliarden Franken zusätzlich aus.» Es sei zwar extrem wichtig gewesen, dass während Corona Liquidität vorhanden war, dass die Menschen in der Schweiz eine Absicherung haben. Die Pandemie habe jedoch finanziell auch seine Schattenseiten. Wenn sie hoffentlich in absehbarer Zeit ein Ende finde, werde sich das Schuldenkonto bei der Bundeskasse um rund 30 Millionen Franken erhöht haben. «Die Frage ist dann, wie wir fähig sind, die gesetzlichen Verpflichtungen innerhalb von sechs Jahren zu amortisieren. Wie können wir das realisieren, ohne die Wirtschaftskraft in der Schweiz zu verschlechtern, unattraktiv für jene zu werden, die hier viele Steuern bezahlen?» Man dürfe kein Eigentor schiessen, das zwar gut gemeint, aber in der Auswirkung schlecht wäre. Dann nämlich, wenn es zu Abwanderungen von gut situiertem Steuersubstrat käme.
Trotzdem ist für ihn der Aspekt wichtiger, «dass wir im Moment bereit sind, die Kosten zu berappen.» Wie auch die Option von zusätzlich 600 Millionen Franken zeigt, die der Nationalrat dem Bundesrat für nächstes Jahr zur Beschaffung von Impfmaterial bewilligt hat. «Das sind vorsorgliche Handlungskompetenzen, damit wir stabil bleiben, nicht nochmals in ein gesundheitliches Desaster, in einen Lockdown laufen.»
50-Prozent-Job
Zu Schilligers parlamentarischen Credos gehört auch, an Kommissionssitzungen und bei Sessionen möglichst lückenlos dabei zu sein. Wobei er generell feststelle, dass die Anwesenheit der Ratsmitglieder seit Corona zugenommen hat. Mit rund 80 Tagen pro Jahr beziffert er die physische Präsenz bei Session, Fraktion und Kommission. Dazu kommen Aktenstudium, aber auch Einladungen. Fachgespräche, Veranstaltungen – oft über Mittag. Kontaktpflege, ebenfalls über die Parteigrenzen hinaus. «Politik ist ein Geschäft unter und mit Menschen», sagt der 62-Jährige. Wenn man den andern kennt, ihn versteht, könne man ihn eher begreifen. Über alles gesehen, absorbiert ihn die Parlamentsarbeit im Umfang eines 50-Prozent-Jobs. Wobei er betont: «Aufgrund von Corona hatten sich zusätzliche Verpflichtungen stark reduziert.» Wohl aber nur vorübergehend.
Ob in der Wandelhalle oder im Restaurant des Alpes: Auf den vielen im Bundeshaus aufgestellten Monitore kann man die Ratsdebatten ebenfalls verfolgen. Jetzt gerade spricht Alain Berset zur AHV-Vorlage. Wenn der Bundesrat redet, nahen die Abstimmungen. «Dann bekommen wir Parlamentarier auch ein SMS», verrät Schilliger. Zeit auch für ihn, um in den Saal zurückzukehren. Drinnen im Saal wird jetzt die tatsächliche Anzahl der Anwesenden Mitglieder zur Stunde sichtbar. Sie ist hoch. Es sind rund 190 von 200 Räten. Das Thema interessiert. Nun wird über die Rückweisungen und das Sistieren der Minderheitsanträge vom Vormittag befunden. Dann ist es 13 Uhr – Mittagspause.
Tennis und ferne Länder
In einer lauschigen Gartenwirtschaft neben der Nobelherberge Bellevue treffen sich Menschen in einer ungezwungenen Atmosphäre zum Lunch, auch Parlamentarier. Wenn es die Situation erlaubt, geht Schilliger zudem auch kurz zurück ins Hotel, geniesst ein «Power Nap». «Ich schlafe in der Regel gut, brauche nicht allzu viel Schlaf.» So gesehen sei er ein zeiteffizienter Mensch.
Beim lockeren Smalltalk gestattet er auch einen Blick auf den feinfühlenden Politiker Schilliger, der privat gerne Tennis spielt und in den Ferien interessiert ferne Länder bereist. So spricht er über eine Fahrt mit dem Cabriolet bis zum Schwarzen Meer, durchquert dabei Länder wie Rumänien oder Bulgarien. «Wunderbare, oft touristisch unberührte Gegenden», schwärmt er. Zudem sei er dankbar dafür, in Bern dieses Mandat für den Kanton Luzern wahrnehmen zu dürfen. Im Parlament schätzt Schilliger den «hochkollegialen Umgang». Wobei es für ihn zum Geschäft gehört, dass bei Voten zuweilen auf die Position eines anderen gespielt werde. Die Politiker «duzen» sich zwar, die Amtssprache ist hingegen «Sie».
Und wie sieht es mit der Lobbyarbeit aus? Da komme enorm viel auf ihn zu, sagt Schilliger. So kontaktieren ihn auch Privatpersonen, beispielsweise bei der 5G-Thematik oder jüngst, als es um den «Coronazwang» ging. Er erklärt: «Der Parlamentarier hat eine Herkunft. Er ist unter einem Label gewählt worden. Da gehört Einflussnahme zum Geschäft. Entscheidend ist, dass die Politiker authentisch bleiben, nicht käuflich sind.» Wenn die Lobbyarbeit offen und transparent sei, gehöre sie zum akzeptierten Teil der Politik.
Der Arbeitstag endet um 23 Uhr
Einen eigentlichen «Fraktionsgehorsam» sieht der Udligenswiler Nationalrat in der FDP nicht. Zwar würden beispielsweise sogenannte strategische Geschäfte – ein, zwei pro Jahr – definiert. Dazu braucht es ein qualifiziertes Mehr. Wenn man sich nicht anschliessen kann, müsse man dies sauber begründen, so Schilliger. Dazu sagt er aber auch: «Wenn die Partei sich nicht grundsätzlich einig ist, hat sie auch keine Wirkung ein Geschäft mitzuprägen.» Bis es schliesslich in den Rat gelangt, bedarf es bereits vorgängig intensiver Beratungen. Sei es in den Kommissionen oder in der Fraktion. «Die Debatte in der Session ist schliesslich noch das Schaulaufen», so Schilliger. Und weiter: Bei der Fülle der Geschäfte sei es unmöglich, alle Details zu kennen. Da vertraut er den beratenden Kommissionen, auf seine Fraktionskollegen. Ausser natürlich bei den Finanzvorlagen. «Dort bin ich tief in der Materie drin.»
Mittlerweile rückt der Uhrzeiger gegen drei Uhr nachmittags. Die Fortsetzung der Debatte und damit der zweite Teil der AHV-Reform steht an. Am Ende eines intensiven Sessionstages steht für Schilliger dann noch ein Nachtessen auf dem Programm. Er trifft sich zum Austausch mit drei FDP-Nationalräten mit unternehmerischem Umfeld. «Solche Gespräche sind wichtig. Es muss der Partei wieder gelingen, dem Wähler die eigenen Werte besser zu vermitteln.» Damit zielt er auf die aktuell tiefen Anteile der Liberalen bei Umfragen hin. Eine andere Prognose lässt sich jetzt bereits machen. Schilligers heutiger Tag dürfte gegen 23 Uhr mit einem verdienten Schlummertrunk enden. von Ernesto Piazza
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