«Impfung ist das beste Konjunkturprogramm»
Reto Wyss, nach einem intensiven Jahr stehen die Sommerferien an. Wie sehr freuen Sie sich?
Ich blicke auf ein sehr spezielles Präsidiumsjahr zurück. Wegen Corona war der Kontakt zur Bevölkerung, zu Organisationen sowie Institutionen nicht wie geplant möglich. Auch die gemeinsamen Veranstaltungen mit Kantonsratspräsidentin Ylfete Fanaj – wir hatten ja das Motto «Luzern verbinden» – konnten wir nicht durchführen. Die Regierung war aber gerade im Pandemiejahr für die Menschen da. Das war und ist immer wichtig, weil es die Aufgabe der Regierung ist. Jetzt freue ich mich, einige Ferientage mit der Familie verbringen zu dürfen.
Sie machen Ferien im Engadin und im Wallis. Hat das einen speziellen Grund?
Wir gehen regelmässig in der Schweiz in die Ferien. Wir geniessen vor allem die Berge, wo der Erholungswert im Sommer und im Winter sehr gross ist. Und seit Längerem haben wir wieder mal die Gelegenheit, die erste Woche im Engadin mit unseren beiden Kindern Julia und Marco zu verbringen.
Corona nahm Sie im letzten Jahr sehr in Anspruch. Wo waren Ihre grössten Herausforderungen?
Zu Beginn standen ganz klar die gesundheitlichen Aspekte im Vordergrund. Und die Entscheide, die wir als Gremium fällen mussten, waren tatsächlich anspruchsvoll. Denn es ging einerseits um den Schutz der Bevölkerung, andererseits darum, deren Freiheit im Auge zu behalten. Und bei allen Entscheiden in Sachen Corona konnten wir auf keine Erfahrungen zurückgreifen.
Wo lag Ihr persönlicher Fokus als Finanzdirektor?
Für mich waren es die Härtefallmassnahmen und alles, was in diesem Umfeld damit zusammenhing. Wir mussten eine neue Organisation von null auf hundert aufbauen. Dazu kam in einer sowieso anspruchsvollen Zeit die laufend vom Bund angepasste Verordnung.
Wie viele Personen waren in Spitzenzeiten in diese Prozesse involviert?
Wir haben mit einer Handvoll Personen begonnen, intern aus dem Departement. In den Spitzenzeiten waren es rund 40 Mitarbeitende. Wobei nicht alle in einem Vollzeitpensum ins Projekt integriert wurden. Teilweise betreuten sie noch ihre angestammten Aufgaben. Zum Härtefallteam gehörten ebenfalls Externe in einem Mandatsverhältnis oder mit einem befristeten Arbeitsverhältnis. Anders wäre dies nicht zu stemmen gewesen.
Wie haben Sie diese Zusammen-arbeit erlebt?
Es war beeindruckend, wie sich innert kurzer Zeit Personen zusammenfanden, die sich nicht kannten. Und dabei darf man nicht vergessen: Der Druck war hoch und alles wurde ja digital entwickelt.
Damit das Personal seine Aufgabe wahrnehmen konnte, braucht es funktionierende Systeme. Gerade jüngst stand das Finanzdepartement – Stichwort Steuersoftware – medial in der Kritik. Wie ging man beim Härtefallprozedere diese Herausforderung an?
Was die Steuersoftware betrifft, konnte ich die Kritik damals eigentlich nachvollziehen. Ich bin überzeugt, wir haben gut darauf reagiert und die notwendigen Lehren gezogen. Bei den Härtefällen ging es bei den Systemen um viel Aufbauarbeit. Da waren wir aber in der guten Ausgangslage über Mitarbeitende zu verfügen, die digital sehr affin und gewohnt sind, etwas mit einfachen Mitteln auf die Beine zu stellen. Zudem standen wir in engem Austausch mit den Unternehmen und konnten so viele Fragen abfangen.
Hat man auch von der Zusammen-arbeit mit anderen Kantonen profitiert?
Ja, auch das half. Zudem arbeiteten wir bewusst mit einer Unternehmung zusammen, welche diese Aufgabe nicht nur im Kanton Luzern machte. Das hat Synergien geschaffen.
Welche Rolle spielten dabei die Wirtschaft und das Parlament?
Auch von diesen Seiten bekamen wir Rückmeldungen. Diese nahmen wir zum Anlass für Verbesserungen und das hat gut funktioniert – nicht zuletzt wegen den Anpassungen bei der Bundesverordnung.
Wobei die Anpassungen beim Bund stets mit zusätzlicher Arbeit verbunden waren.
Besonders anspruchsvoll war, dass jede Anpassung, die im Normalfall eine Verbesserung mit sich brachte, dazu führte, dass man sämtliche Gesuche, die bereits behandelt waren, nochmals anschauen musste. Doch ohne diese Anpassungen, die zwar anstrengend und manchmal auch aufreibend waren, wäre das jetzt eingesetzte System und der Mechanismus gar nicht möglich gewesen. Auch für den Bund war das alles neu. Beide Staatsebenen haben sich im Laufe der Pandemie in Sachen Härtefälle weiterentwickelt. Heute darf ich mit gutem Gewissen sagen: Die Luzerner Härtefallunterstützung hat sich bewährt.
Nach den ersten -Corona-Monaten, wo es bei den Verbänden, bei den Institutionen eher ruhig war, versuchten sie den Begehrlich-keiten ihrer Mitglieder Nachdruck zu verleihen. Wie haben Sie diese Diskussionen erlebt?
Ich habe Verständnis dafür. Die Verbände machen Lobbyarbeit für ihre Branche. Ich habe die Verbände nie als Gegner gesehen, sondern als Partner, mit denen man die Diskussion suchte. Und das zielgerichtete und gut funktionierende System, das wir jetzt haben, ist sicherlich auch dank der intensiven Zusammenarbeit mit diesen Partnern zustande gekommen.
Sie sind von Gesuchstellern, die Angst um ihre Existenz haben, auch direkt angeschrieben worden. Wie sehr haben solche Schicksale betroffen gemacht?
Ich war vor meiner Tätigkeit als Regierungsrat auch selbständiger Unternehmer. Man muss sich immer in die Situation der Betroffenen versetzen. Wenn eine Firma praktisch seit einem Jahr stillsteht oder stillstehen muss, weil es die Rahmenbedingungen nicht zulassen, weiterzuarbeiten, habe ich Verständnis dafür, dass Betroffene angespannt sind. Insgesamt muss ich aber sagen: Die grosse Mehrheit der Kontakte war sachlich und wir haben versucht eine adäquate Lösung zu finden.
Was sagen Sie zum Vorwurf, die öffentliche Hand habe mit ihrem Vorgehen Existenzen vernichtet?
Meiner Meinung nach haben wir keine Existenzen vernichtet. Wenn ich die Situation jetzt anschaue, hatten wir 2019 im Kanton Luzern 66 Konkurse, 73 im Jahr 2020 und 57 im 2021, jeweils per Ende Mai. Das zeigt mir, dass einerseits die Unternehmungen innovativ waren und andererseits die Unterstützung der öffentlichen Hand die Wirkung nicht verfehlt hat. Ich bin der Ansicht, dass der wesentliche Teil der Firmen die Strukturen und Arbeitsplätze erhalten konnte. Zudem zeigt ein Vergleich der registrierten Arbeitslosen im Kanton Luzern: Im Mai 2020 waren es 5601 Personen, im Mai 2021 noch 5079.
Wobei die im nächsten Frühling auslaufende Kurzarbeitsentschädigung geholfen hat und noch hilft.
Natürlich haben wir Branchen, die trotz der aktuellen Situation noch nicht ganz auf dem Niveau von vor der Pandemie sind. Ich denke da jetzt in der Stadt Luzern an die Hotellerie, dann an die ganze Eventbranche. Ein grosser Teil der Wirtschaft konnte den Kurs wieder aufnehmen.
Sie haben also nicht die Befürchtung, dass es, wenn die Kurz-arbeitsentschädigung nicht mehr greift, zu vermehrten Konkursen kommt.
Aufgrund der aktuellen Kenntnisse gehe ich nicht davon aus. Zuversichtlich stimmen mich auch die Prognosen des Seco in Bezug auf die Entwicklung unserer Wirtschaft. Der zu Beginn der Pandemie befürchtete grosse Einbruch dürfte nicht eintreten. Die Schweizer Wirtschaft hat sich erfreulich stabil präsentiert. Und es zeigt sich auch, dass die Unternehmungen in der Schweiz innovativ sind.
Bald kommt der Herbst. Die Zahl der positiv getesteten Personen dürfte wieder zunehmen. Wie stark sorgen Sie sich, dass es zu erneuten Lockdown-Massnahmen kommt?
Der Regierungsrat ist dabei, jeder in seinem Bereich, die Situation genau zu beobachten. Wir werden uns, wie zu Beginn der Pandemie, die Frage der Balance stellen müssen. Und zwar zwischen dem Schutz und der Freiheit der Menschen und der Wirtschaft. Mit der Impfung haben wir jetzt aber eine andere Situation. Sie ist das beste Konjunkturprogramm und schützt auch unsere Bevölkerung. Aber das Thema ist noch nicht abgeschlossen. Es wird uns weiter begleiten.
Blicken wir auf die aktuelle -Finanzsituation des Kantons. Der Abschluss 2020 war mitten in der Pandemie mit einem Überschuss von 212,5 Millionen Franken ein Rekordergebnis. Hauptgründe hierfür waren höhere Steuereinnahmen und mehr Mittel von der Nationalbank. Wie sehr kamen diese Komponenten dem Finanzdirektor entgegen?
Wir hatten das Glück, dass die Nationalbank jetzt diese Ausschüttung machen kann. Aber man darf auch sagen, dass uns der finanzpolitische Weg, den der Kanton Luzern jetzt über viele Jahre gegangen ist – Anfang der 2000er-Jahre hatten wir noch 2,5 Milliarden Schulden – einen Teil zu diesem Ergebnis beigetragen hat. Mit dem Abschluss 2020 haben wir auch erstmals ein Nettovermögen. Diese finanzielle Ausgangslage hat es uns ermöglicht mit einer gewisser Ruhe und Besonnenheit dieser Situation gegenüberzutreten.
Gute Abschlüsse wecken Begehrlichkeiten. Was sind momentan die grössten Projekte?
Wir sind an der Umsetzung einiger Bauprojekte. Dazu gehören der Campus Horw, aber auch die Kantonsschulen Sursee und Reussbühl. Mit diesen Projekten stärken wir den Bildungsstandort Luzern. Mit dem Sicherheitszentrum Rothenburg wollen wir in die Sicherheit investieren. Ausserdem planen wir, die Verwaltung am Seetalplatz in Emmen zu realisieren. Dort wollen wir beispielsweise in die Digitalisierung, aber auch bei der Infrastruktur investieren. Ebenfalls wollen wir Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, um auch die nächste Generation als attraktiver Arbeitgeber zu überzeugen. Zudem stehen Wasserbauprojekte zum Schutze der Bevölkerung an. Diese Projekte können wir uns leisten, ohne dabei die finanziellen Grenzen auszuloten.
Zurück zu Corona: Rund 98 Prozent aller eingegangenen Härtefall-gelder-Gesuche sind abschliessend beurteilt. Knapp 1800 Anträge wurden geprüft und entschieden. Circa 1300 Gesuchsteller erhielten einen positiven Bescheid. Sieht der Finanzdirektor hier Licht am Ende des Tunnels?
Ich bin realistisch optimistisch. Ich würde finanziell auch nicht von einem Tunnel reden. Wir verfügen über eine solide Ausgangslage, die es – Stand heute – zulässt, dass wir die finanziellen Folgen tragen können, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger das zu spüren bekommen.
Heisst das, Steuererhöhungen und Sparpakete sind kein Thema?
Ja, dabei bleibt es. Die Bevölkerung soll keinen Sonderbeitrag leisten müssen zur Bewältigung dieser durch Corona hervorgerufenen Ausnahmesituation.
Dennoch: Die Pandemie hat die Staatskasse belastet. Wie stark?
Im Jahr 2020 rechneten wir wegen Corona mit Mehrausgaben und Mindereinnahmen von insgesamt rund 50 Millionen Franken. Dasselbe gilt für die Folgejahre bis 2024. Gemäss Hochrechnung wird die coronabedingte Mehrbelastung 2021 nun aber auf 137 Millionen geschätzt. Dies, weil wir beispielsweise im Gesundheitswesen, insbesondere bei den Spitälern, entsprechende Aufwendungen erst in der Laufenden Rechnung haben werden. Trotzdem rechnen wir für das Jahr 2021 mit einem Nullergebnis und nicht wie angenommen mit einem Defizit von 50 Millionen Franken.
Wie viel an finanziellen Mitteln steht dem Kanton – Stand heute – für Corona zur Verfügung?
Insgesamt, aus Kantonsratskrediten und den gebundenen Mittel der Regierung, sind es rund 300 Millionen Franken. Genehmigt haben wir bis dato circa 184 Millionen Franken, meist in Form von À-fonds-perdu-Beiträgen. Wir haben also noch nicht alle Mittel beansprucht, welche Parlament und Regierung bewilligt haben.
von Ernesto Piazza
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