«Die Ausbildung ist der Grundpfeiler»
Die Olympischen Spiele in Paris sind Geschichte. Swiss Equestrian verzeichnet eine Silbermedaille von Springreiter Steve Guerdat im Einzel. Welche Bilanz ziehen Sie als Verbandspräsident gesamthaft?
Damian Müller: Die Silbermedaille in der Einzelwertung von Steve Guerdat und Dynamix de Bélhème ist grossartig. Steve Guerdat und Dynamix wurden im letzten Jahr Europameister und haben in Paris eine neue Seite in der Geschichte unseres Sports geschrieben. Steve Guerdat ist mehr als nur ein Reiter. Er ist ein Botschafter des Sports in der Schweiz und auf der ganzen Welt. Es ist aber auch die Medaille der Pferdebesitzerin Sabina Cartossi, der Pferdepflegerin Emma Uusi-Simola und sämtlicher Angehöriger von Steve. Unser Sport ist einzigartig, weil nur im Pferdesport Frauen und Männer im gleichen Wettbewerb gegeneinander antreten. Aus-serdem müssen im Pferdesport zwei Athleten als Paar auf den Punkt bereit sein, um eine solche Höchstleistung wie an den Olympischen Spielen abrufen zu können. Fazit: Das Team der Vielseitigkeitsreiter ist über sich hinausgewachsen. Das Dressurresultat liegt unter den Erwartungen. Der Umstand, dass sich das Team im Springreiten nicht für den Final qualifizierte, ist ein Debakel, obwohl Steve Guerdat in der Einzelwertung ausgezeichnet war.
Wie gross ist die Enttäuschung über das Verpassen des Team-Finals?
Sehr gross. Klar, die Medaille von Steve Guerdat ist sensationell, aber diese darf nun nicht über das Mannschaftsresultat hinwegtäuschen. Die sportliche Leitung unter Equipenchef Peter van der Waaij und unserer Sportmanagerin Evelyne Niklaus wird diese unerwartete Leistung genau analysieren. Wir müssen verstehen, was dazu geführt hat, dass unsere Athleten ihre Leistung nicht abrufen konnten. Eines ist sicher: Wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen und müssen unser Kader breiter aufstellen, damit wir in Zukunft mehr Paare haben, die auf höchstem Niveau mitreiten können. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet sicher das Nachwuchsprogramm Swiss Eque-strian Talents, das vom Dachverband in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der Familie Straumann dieses Jahr gestartet ist und talentierte junge Reiter in den olympischen Pferdesportdisziplinen gezielt fördert. Die Jugendlichen werden in diesem Programm nicht nur reiterlich gefördert, sondern zu vollständigen Athleten ausgebildet.
In der Dressur spielt die Schweiz schon länger keine grössere Rolle mehr an Olympia, heuer kam Andrina Suter auf Rang 55. Warum diese Flaute?
Klar, Andrinas Leistung war unter den Erwartungen. Allerdings muss man die Gesamtsituation betrachten: Für die 32-jährige Athletin waren es die ersten Olympischen Spiele und der Druck sehr gross. Sie hat Fehler gemacht, die sie normalerweise nicht macht. Sie hat die Selektionskriterien erfüllt und es war aus unserer Perspektive extrem wichtig, dass wir mit ihr in Paris waren. Diese Erfahrungen werden helfen, einen weiteren Schritt zu machen. Wir sind uns bewusst, in der Disziplin Dressur gibt es noch sehr viel zu tun. Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen, aber auch hier müssen wir unsere Ausbildungs- und Betreuungsstrukturen genau unter die Lupe nehmen. Auch die Dressur ist in das bereits erwähnte Nachwuchsprogramm Swiss Eque-strian Talents integriert. Dieses ist eine wichtige Ergänzung zu den Strukturen der Nationalkader und ermöglicht es uns, vom Breitensport bis zum Spitzensport zu arbeiten. Fazit: Pro Olympiadisziplin werden nun die technischen Komitees die Analysen vornehmen und Massnahmen erarbeiten, damit wir bereits heute mit der Vorbereitung auf die nächste Austragung der Olympischen Spiele in Los Angeles 2028 beginnen.
Die Vielseitigkeitsreiter wurden mit dem Team Fünfte, Felix Vogg im Einzel Achter. Wie beurteilen Sie diese Leistung?
Ich bin begeistert. Mit zwei olympischen Diplomen haben die Schweizer Vielseitigkeitsreiterinnen und -reiter die gesteckten Ziele übertroffen. Klar, wir waren nahe an einer Medaille dran in der Team- und Einzelwertung. Das musste man erst einmal «verdauen». Uns wurde jedoch schnell bewusst, dass wir alle vor den Olympischen Spielen nie mit einem solchen Resultat gerechnet hätten. Das ist dem hervorragenden Management und der gezielten Planung zu verdanken, die bereits vor sechs Jahren begonnen haben. Das Team hat sich bei mehreren Meisterschaften und insbesondere auch beim internationalen Turnier mit Nationenpreis in Avenches-IENA hervorgetan. Das war ein Ansporn für die gesamte Disziplin, der eine Welle der Begeisterung ausgelöst hat. Die Schweizer Vielseitigkeitsreiterinnen und -reiter haben sich dank des Teamspirits und einer soliden Betreuung Schritt für Schritt weiterentwickelt. Aber wir haben noch Luft nach oben.
Sie waren selbst in Paris. Wie haben Sie die Spiele persönlich erlebt?
Diese Olympischen Spiele waren ein wunderbares Erlebnis. Die Organisation war hervorragend, ebenso wie die Wettkampfstätten. Die gesamte Sportfamilie war für ein gemeinsames Ziel vereint und es war eine Ehre, dies von der Pferdesportanlage im Schlosspark Versailles aus verfolgen zu können. Alles war vor Ort auf das Pferd zugeschnitten. Vom Trainingsplatz über die Stallungen bis hin zur Umgebung und dem Turnierplatz. Ich nutzte die zwei Wochen auch, um intensiv mit dem CEO von Swiss Equestrian, Michel Sorg, zusammenzuarbeiten, der ebenfalls vor Ort war. Wir arbeiteten an zahlreichen Projekten, die mit der Strategie «Swiss Equestrian 2030» in Zusammenhang stehen. Ausserdem waren zahlreiche CEO und Präsidenten anderer Verbände sowie Vertreter des internationalen Verbandes vor Ort. Wir konnten uns mit jedem von ihnen zu aktuellen Themen austauschen, was sehr wichtig war. Natürlich haben wir auch viel Zeit mit den anwesenden Athletinnen und Athleten unserer Disziplinen-Teams, den Equipenchefs, den Trainern, der Tierärztin beziehungsweise dem Tierarzt und dem Hufschmied sowie mit den Pferdebesitzern und Pferdepflegerinnen und -pflegern verbracht.
Reiten gehört seit 1912 und somit traditionell zu Olympia. Nach mehreren Quälskandalen im Vorfeld von Paris 2024 ist nun die Diskussion aufgekommen, ob das Reiten aus dem Programm genommen werden soll. Welche Haltung haben Sie dazu?
Ich sage es klipp und klar: Wer das Pferd nicht respektiert, hat nichts auf einem Pferd verloren. Wie Sie richtig sagen, ist das Pferd Teil der olympischen Geschichte, aber es geht noch weiter. Es ist Teil von unserer Geschichte. Davon zeugen unter anderem die vielen Gemälde und Skulpturen, die wir im Schloss von Versailles sehen konnten. Das Pferd war schon immer und ist bis heute ein Teil unserer Gesellschaft. Und es soll auch weiterhin einen wichtigen Platz bei den Olympischen Spielen einnehmen. Klar, es liegt an, uns zu zeigen, weshalb. Die Reiterinnen und Reiter brauchen eine gute Grundausbildung, aber auch eine gezielte Weiterbildung. Es spielt keine Rolle, welches Niveau ein Reiter hat oder welche Disziplin er ausübt. Die Ausbildung ist der Grundpfeiler. Das ist auch bei unseren Funktionären und Offiziellen der Fall, die wir nicht nur aus- und weiterbilden, sondern auch unterstützen müssen. Auch auf dieser Ebene haben wir mit der Strategie 2030 Massnahmen wie E-Learning, Qualitätsprüfungen und das Swiss Equestrian Forum lanciert. Das Wohlbefinden der Pferde ist unsere oberste Priorität und muss immer im Mittelpunkt stehen. Wer sich nicht daran hält, muss hart bestraft werden. Bei Swiss Equestrian gilt die Nulltoleranz.
Wie schützt Swiss Equestrian die Pferde im Leistungs- und Spitzensport vor zu grosser Leistungsforcierung beziehungsweise Tierquälerei?
Wir müssen uns bewusst sein, dass die Schweizer Tierschutzgesetzgebung zu den strengsten auf der ganzen Welt gehört. Bei Swiss Equestrian gilt die Nulltoleranz. Wer sich nicht an die Tierschutzgesetzgebung oder unsere Reglemente hält, der wird angezeigt oder sanktioniert. Was den Wettkampfkalender der Spitzenpferde betrifft, so wird der Planung in Zusammenarbeit mit den Equipenchefs und Coaches besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Für jedes Pferd gibt es einen genauen Zeitplan, um Wettkämpfe und Erholungsphasen optimal zu koordinieren. Um Spitzenleistungen zu erbringen, braucht das Pferd nicht nur gezieltes Training, sondern insbesondere auch Ruhezeiten auf der Weide oder bei Spaziergängen. Pferde sind Hochleistungssportler, aber sie bleiben immer auch Pferde mit ihren besonderen Bedürfnissen. Wir müssen die faszinierende Beziehung zwischen Pferd und Mensch immer in den Mittelpunkt stellen. Das tun wir zum Beispiel mit unserer neuen Kampagne «Lebensgefühl Pferd». Diese Beziehung ist einzigartig und kann wirklich das Leben eines Kindes, aber auch eines Erwachsenen, verändern.
Seit 2021 sind Sie nun Präsident von Swiss Equestrian, haben einen Strategieprozess angestossen. Wo stehen Sie mit diesen Umstrukturierungen heute?
Wer mich kennt, weiss: Ich lasse keinen Stein auf dem anderen und arbeite fokussiert mit den Mitarbeitenden. In der ersten Phase haben wir alles analysiert. Dann folgte die Entwicklung der Strategie mit den Handlungsfeldern und deren Zielen. Die Geschäftsleitung hat sämtliche Massnahmen zur Zielerreichung erarbeitet. Priorisierung, Budgetierung und Projektdauer wurden im Führungsinstrument festgehalten und werden von der strategischen Leitung stetig überprüft. Mehrere Projekte wurden bereits umgesetzt, darunter die neuen technischen Komitees für die neun Disziplinen, das neue Branding des Verbands, die Lancierung von Swiss Equestrian Talents, die ständigen Verbesserungen im IT-Bereich sowie die Ausbildungen für die Vorstandsmitglieder von Reitvereinen mit dem sogenannten «Club Management». Zudem wurde die Kommunikationsstrategie erarbeitet, damit wir unseren Verband richtig positionieren. Im Bereich Reglemente haben wir das Projekt «Reglementsänderungsprozess» erarbeitet, damit wir künftig den Offiziellen mehr Sicherheit geben. Das Thema Ethik ist in unserer Strategie ebenfalls zentral, und da sprechen wir über Ethik zwischen Menschen untereinander und zwischen Pferd und Mensch. Wie Sie sehen, sind die Projekte zahlreich. Wir priorisieren gezielt und arbeiten Schritt für Schritt, um die Ziele der Strategie bis 2030 zu erreichen. Es bleibt noch viel zu tun, aber ich habe das Glück, bei Swiss Equestrian auf einen engagierten Vorstand und motivierte Mitarbeitende zählen zu können.
Ein Blick in die Zukunft: Was sind in der Agenda die nächsten Fixpunkte für Swiss Equestrian?
Auf sportlicher Ebene ist die Wettkampfsaison in der Schweiz in allen Disziplinen in vollem Gange. In den kommenden Tagen und Wochen finden in mehreren Disziplinen die Schweizermeisterschaften statt. Wir berichten aktuell über unsere elektronischen Kommunikationskanäle. Sportlich steht im kommenden Frühling der Weltcup-Final der Spring- und Dressurreiter sowie in der Disziplin Voltige im Fokus. Diese sogenannte Hallen-Weltmeisterschaft findet Anfang April in Basel statt.
Sie sind Ständerat, Präsident von Swiss Equestrian und haben bis Ende Jahr ein Verwaltungsratsmandat inne. Eigentlich sind Sie auch Reiter – kommen Sie zeitlich überhaupt noch dazu und wenn ja, in welchen Masse?
Ich bin fast jeden Samstag bei Freunden im Stall. Wenn es die Zeit erlaubt, dann steige ich auf das Pferd oder gehe spazieren, was mir unheimlich viel Kraft gibt.
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