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Seetal | Ermensee

«Sie wollte noch einmal im Meer schwimmen»

Als bei Monika Lang ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert wurde, veränderte sich das Leben der Familie von Grund auf. Im Interview spricht ihr Ehemann Otto Lang offen über den gemeinsamen Weg, über schwere Entscheidungen, berührende Momente – und über die Kraft des Miteinanders. Am 11. Oktober ist Welthospiztag.

von Yvonne Ineichen

Die Lebensrealität Ihrer Familie hat sich von einem Moment auf den anderen verschoben. Mögen Sie erzählen, wie es dazu kam?

Otto Lang: Ja. Allerdings werde ich etwas ausholen. Es war Anfang 2023. Monika verbrachte ihre Ferien in Lapp-land, ich genoss eine Auszeit auf meinem Motorrad in Vietnam und Neuseeland. Wir waren täglich im Kontakt und berichteten einander von unseren Erlebnissen. Monika blieb bei jedem Telefonat bei derselben Geschichte hängen – etwas, das sie zuhause noch zu erledigen hatte. Ich war zwar irritiert, aber nicht beunruhigt. «Wir regeln das gemeinsam, wenn ich wieder daheim bin», besänftigte ich sie. 

Kaum war ich wieder zu Hause, kam der Tag, an dem unsere Welt einen Riss bekam. Monika fuhr mit dem Auto nach Hitzkirch, um Brot für das Abendessen zu holen. Kurze Zeit später stand sie weinend in unserer Küche. «Ich habe das Brotgestell nicht mehr gefunden», sagte sie. Ich tröstete sie, dass das nicht so schlimm sei, und dachte mir noch nicht so viel dabei. Am nächsten Tag hatte ich einen Arzttermin, traf unterwegs einen Freund auf einen Kaffee. Da rief mich meine Tochter an. Ich solle sofort nach Hause kommen. Mami gehe es nicht gut. Wir fuhren schnurstracks zum Hausarzt. Die ersten Vermutungen deuteten auf Altersdemenz hin. Die Symptome – auch ihre manchmal auftretenden depressiven Verstimmungen – schienen zu passen. Meine Kinder drängten auf eine rasche Abklärung. Und Monika bekam sofort einen Platz in St. Urban. Nach eineinhalb Wochen Aufenthalt machte man dann endlich ein MRI, um die Altersdemenz zu verifizieren. Doch, die Diagnose war anders als gedacht: Sie hatte ein Glioblastom, einen unheilbaren Hirntumor. Wir waren fassungslos.

 

Meine Kinder setzten sofort alles daran, dass Monika so rasch wie möglich in die Hirnklinik nach Aarau verlegt werden konnte – was sich als Odyssee erwies. Am Montag, nach einem langen Wochenende, folgte dann endlich das zweite MRI, am Dienstag das ärztliche Gespräch, dann die Biopsie. Die war nötig, um eine Therapieform zu bestimmen, die Monikas verbleibende Lebenszeit so angenehm – wenn man in einem solchen Fall von angenehm sprechen kann – wie möglich zu machen. Eine Operation wäre zu riskant gewesen. Wir entschieden uns, die verordnete Chemotherapie im Kantonsspital Luzern zu machen. Die erste Einheit bekam sie stationär verabreicht. Danach durfte sie wieder nach Hause. Fortan fuhren wir nur noch punktuell nach Luzern. Ich krempelte von einem Tag auf den anderen mein Leben um, legte all meine Mandate nieder. Und organisierte unseren Alltag neu. Mir war wichtig, nah an Monikas Seite zu sein. Wir gingen jeden Tag spazieren. Ich half ihr beim Duschen, beim Anziehen, war einfach da. Auch unsere Kinder waren oft bei uns, ebenso die Nachbarn. Alles rückte enger zusammen.

Wann stand das Hospiz als Möglichkeit zum ersten Mal im Raum?

Das dauerte einen Moment. Denn das Jahr 2023 verlief ohne grosse Zwischenfälle. Wir nahmen uns Zeit zum Reden, unternahmen alles, was ihr Freude machte und noch möglich war. Monikas grösster Wunsch war, noch einmal im Meer zu schwimmen. Den wollten wir ihr erfüllen. Wir reisten mit unseren Kindern und deren Familien nach Palma de Mallorca. Auch Weihnachten 2023 und Ostern 2024 feierten wir gemeinsam. Aber wir merkten, dass es mit ihrer Gesundheit nur in eine Richtung ging: bergab. Ihre Lebenskerze brannte langsam herunter. 

 

Über die Möglichkeit «Hospiz» haben wir als Familie ab dann immer mal wieder intensiv gesprochen. Bei uns waren immer alle über alles informiert, alle auf dem gleichen Stand. Das war uns wichtig. Einer meiner Söhne ist Arzt, der andere Pflegeleiter. Meine Tochter war Arztgehilfin. Sie wussten, was die Diagnose bedeutet. Am 21. Juni beschlossen wir, gemeinsam mit unseren Kindern das Hospiz zu besuchen. Die Führung und all die Informationen waren sehr hilfreich. Am späten Nachmittag waren Monika und ich wieder bei uns zu Hause. Mir wars wichtig, mit ihr über das Erfahrene und Gesehene zu reden. Ich wollte wissen, wie es für sie war. Ob es schwierig sei. Liess ihr jedoch immer die Option, sich nicht zu äussern, wenn es zu emotional für sie sei. Doch Monika äusserte sich hier sehr klar. «Der Platz ist wunderbar», sagte sie. Sie konnte damit umgehen. Natürlich flossen Tränen – der Moment, in dem man realisiert: Das ist der letzte Abschnitt, ist schmerzhaft. 

Das muss auch für Sie selbst sehr schmerzlich gewesen sein. Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Tatsache, dass der Mensch, mit dem ich 45 Jahre verheiratet war, in absehbarer Zeit nicht mehr ein physischer Teil meines Lebens sein wird, war … Es lässt sich nicht in Worte fassen … Aber ich bin in jedem Moment ein vor-ausschauender Mensch. Das war ich schon immer. Und deshalb habe ich mich schon früh um vieles gekümmert. Zum Beispiel um den Sarg, die Urne. Ich wählte einen Sarg, auf dem das Matterhorn abgebildet war, was zu ihr – sie war halb Walliserin, halb Luzernerin – passte. Ich fand eine Urne, die tropfenförmig war und ihr liebstes Element Wasser symbolisierte. Auch das war sehr stimmig. Monika unterrichtete nämlich während vieler Jahre Schwimmen. Abends, nach unserem Hospizbesuch, zeigte ich ihr, was ich schon vorbereitet und ausgewählt hatte. Das war sehr emotional, aber auch stärkend. An diesem Abend legte sie ausserdem drei Kleiderkombinationen bereit – ich sollte entscheiden, welche sie auf ihrer letzten Reise tragen würde. Dann ging ich in den Keller, holte unsere beste Flasche Wein. Die genossen wir gemeinsam, redeten, schwelgten in Erinnerungen und philosophierten über das Leben.

Wann war der Moment da, als ihr rea-isiert habt, dass es nicht mehr geht?

Am 1. Juli war ein Wendepunkt. Ich war kurz weg, als mich meine Tochter anrief – Mami habe einen epileptischen Anfall. Sie konnte nicht mehr gehen. Ich eilte nach Hause, wir riefen die Ambulanz. Sie kam in die Notaufnahme im Kantonsspital. Ich wusste: Sie kommt nicht mehr heim. Sie verbrachte zwei Nächte im Spital. Wir waren dankbar, dass der Eintritt ins Hospiz schon vorbereitet war, und ich fuhr Monika am 3. Juli selbst nach Littau. 

Wenn Sie an die Zeit mit Ihrer Frau im Hospiz zurückdenken – gibt es ein erstes Bild oder ein Gefühl, das Ihnen spontan in den Sinn kommt?

Es ist wie ein Schalter, den man kippen kann – plötzlich ist man in einer anderen Welt. Ruhig, geborgen, abgeschirmt vom Lärm des Lebens. Man weiss zwar, dass hier das Leben zu Ende geht. Aber man kann es in dieser Umgebung annehmen, wie es ist. Die passenden Worte zu finden, ist schwierig. Wer schon einmal im Hospiz war, weiss was ich meine.

Welche Gedanken und Gefühle haben Sie im Moment des Umzugs ins Hospiz begleitet?

Ganz ehrlich – ich war im Funktionsmodus. Natürlich erlebt man emotionale Spitzen, aber man schaltet wieder um. Weil es irgendwie weitergehen muss.

Wie haben Sie die ersten Tage im Hospiz erlebt – für sich selbst und mit Blick auf Ihre Frau?

Diese Stille, wenn ich abends nach Hause kam, die war schwierig auszuhalten. Nichts war mehr wie zuvor. Die Welt hatte sich verändert, die Realität verschoben. Trotzdem wollte ich stark und zuversichtlich sein. Weil ich wusste, dass Monika gut aufgehoben und das Hospiz jetzt der beste Ort für sie ist. Das gab mir Halt und spornte mich auch an. Ich wollte selbständig sein und lernte schnell, was sie in unserem Alltag organisiert hatte. Für Monika war es zuerst schwer. Sie war es gewohnt, den Takt vorzugeben. Aber sie merkte schnell: Es geht nicht mehr anders und dann konnte sie die liebevolle Fürsorge im Hospiz gut annehmen. 

Gab es im Hospiz einen Moment, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Monika war starke Raucherin – und das wurde respektiert. Anfangs schob man sie im Rollstuhl in den Garten, damit sie rauchen konnte, später rollte man ihr Bett in den Innenhof. Auch gab es diese kostbaren Momente bei einem Glas Wein: Ich brachte Amarone-Gläser und gute Weine mit. Wir zelebrierten den Genuss bei Familienessen – oder zu zweit. Gegen Ende trank Monika oft nur noch einen Schluck. Und zuletzt benetzten wir ihre Lippen mit einem Kaffeelöffel … Ein guter Tropfen bis zum Schluss. 

Was hat Ihrer Frau im Hospiz gutgetan oder ihr geholfen, sich wohlzufühlen?

Diese unaufgeregte Hilfe, die Präsenz der Mitarbeitenden. Sie konnte sich hingeben, nahm Hilfe dankbar an. Alles war sehr liebevoll. Diese kleinen Gesten – dass man sie zum Rauchen in den Garten brachte, ein Witz, ein Lächeln – das bedeutete viel. Denn auch Monikas Galgenhumor blieb: «Weisch, es send ned d’Zigarette, wo mech umbrengid», sagte sie einmal, als sie eine rauchte.

Hat sich Ihre Rolle als Partner im Verlauf der Zeit im Hospiz verändert?

Natürlich habe ich sie zu Hause gepflegt und umsorgt. Doch ich war immer ihr Partner, ihr Mann. Küsse, Umarmungen – das blieb. Auch wenn sich sonst körperlich vieles veränderte. Mir war einfach wichtig, dass sie sich wohlfühlte. Die Pflege dann abzugeben war entlastend – obwohl ich all das sehr gerne für sie gemacht habe. Monika äusserte sich dazu einmal, sie sei überrascht, wie gut ich das könnte. Im Rückblick denke ich: Wir hätten uns im Alltag mehr Zeit für Zweisamkeit nehmen sollen. Aber wir haben es so gemacht, wie es uns möglich war.

Welche Begegnungen oder Erfahrungen im Hospiz haben Ihnen persönlich Kraft oder Trost gespendet?

Das Pflegepersonal war grossartig. Wenn ich irgendwo sass und einen Kaffee trank, war da immer jemand, der sich zu mir setzte, mit mir ein paar Worte wechselte. Auch der Austausch mit anderen Angehörigen tat gut – es verband, für diesen Moment.

Gab es etwas, das Sie überrascht hat – sei es positiv oder schmerzlich?

Die Beteiligung. Wir wurden immer miteinbezogen, gefragt, was ihr guttun würde, was helfen könnte. Auch dass die Pflegetochter meines Sohnes willkommen war. Sie spielte, wuselte durchs Haus, war lebendig – das tat allen gut. Ein Bild hat sich eingeprägt. Wenn ich morgens ins Hospiz kam und vor einer Zimmertür eine Kerze brannte, wusste man: Jemand ist gestorben. Dann fragt man sich: Wann ist es bei uns so weit? Doch das war auszuhalten. Denn wir wussten, dass wir alles getan hatten, was in unseren Händen lag.

Wenn Sie heute zurückblicken: Was war für Sie das Wichtigste in dieser gemeinsamen Zeit im Hospiz?

Das Wichtigste begann schon vorher. Auch wenn ihre Lebenszeit von einem Tag auf den anderen ein (mehr oder weniger) klar definiertes Ende bekommen hatte, so war darin auch ein Geschenk. Wir konnten vieles regeln, zurückblicken, reden. Der Verlauf ihrer Krankheit hat uns dazu gezwungen – im positiven Sinn. Die Zeitlosigkeit im Hospiz hat mir gutgetan. Da gibt es kein Besuchsregime. Das half, dass ich auch meinem Tagesgang folgen konnte. Wenn ich parat war, fuhr ich nach Littau, klingelte und jemand öffnete. Auch im übertragenen Sinne. Und die Offenheit war heilsam. Wenn man miteinander offen ist, ehrlich, dann ist es leichter. Monika konnte am Ende sagen: «Ich habe keine Angst vor dem Tod.» Sie war im Reinen und klagte nie. Mit 65 Jahren schloss sie friedlich die Augen.

Können Sie sich an diesen Moment erinnern? 

Es war am 1. August 2024. Ich war morgens bei ihr. Sie sprach schon seit ein paar Tagen nicht mehr, öffnete nur noch gelegentlich die Augen. Ich sass an ihrem Bett und sprach mit ihr. Dankte ihr für alles, was sie für uns getan hatte, für all die Momente, die ich mit ihr verbringen durfte. Da rollten drei winzige Tränen über ihre die Wange. Das hat mich enorm berührt. Abends waren wir alle gemeinsam an ihrem Bett. Um 17.45 Uhr kam die Ärztin und riet uns: Wir sollten nach Hause gehen. Vielleicht wolle Monika bei ihrem letzten Atemzug allein sein. Wir fuhren heim und eine Stunde später rief eine Pflegefachfrau an. Monika war gestorben. Sie schlief für immer ein, während draussen – es war ja der erste August – Alphornklänge zu hören waren. Wieder machten wir uns auf den Weg nach Littau. Der Bläser erwartete uns und spielte ein letztes Lied für uns. Zwei meiner drei Kinder, Kevin und Melina, wuschen ihre Mutter, zogen ihr das festliche Kleid an. Sie sah aus wie eine Prinzessin.

Möchten Sie Menschen etwas mitgeben, die vielleicht vor einer ähnlichen Entscheidung stehen?

Ja. Ich kann nur raten: Beschäftigen Sie sich rechtzeitig mit dem Lebensende. Klären Sie Dinge, solange sie gesund sind. Sprechen Sie mit der Familie. Der Tod darf kein Tabu sein. Denn was im Ernstfall organisatorisch auf einen zukommt, ist gewaltig. Was mir enorm geholfen hat, war der familiäre Zusammenhalt. Und das Wissen: Ich, wir alle, waren für Monika da. Nichts blieb unausgesprochen.

 


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