Baldegger Schwestern wollen ihre Werte vererben

Am 4. November 1972 wurde das Mutterhaus des Klosters Baldegg eröffnet. Wie kam es, dass der globale Architekturstar Marcel Breuer im Luzerner Seetal ein Kloster für den franziskanischen Frauenorden baute?

Werner Rolli

Eine Baumallee führt die schmale Stras­se zum Mutterhaus hinauf. Rechts der Klosterhof mit weidenden Kühen, links der Ausblick zum Lindenberg. Dann steht der Besucher vor einem imposanten Bau, gefertigt in Sichtmauerwerk Beton-Fertigelementen. Kühn, angelehnt an den Bauhaus-Stil mit einer straffen, geometrischen Gliederung. Es ist 50 Jahre her, seit dieses Gebäude, das als Mutterhaus bekannt ist, eröffnet wurde. Die Schwestern Sr. Zita Estermann, Sr. Martine Rosenberg, Sr. Marie-Ruth Ziegler, Sr. Nadja Bühlmann und Gabriela Christen (Leitung Strategie & Transformation Kloster Baldegg und Dozentin HSLU) informieren über Geschichte und Architektur und erinnern sich an die Zeit des Neubaus vor 50 Jahren.

Es muss wohl als kleine Revolution betrachtet werden, dass das Kloster Baldegg damals Marcel Breuer mit dem Bau beauftragte. Das Kloster hatte für den Neubau einen Wettbewerb ausgeschrieben, aus dem das Projekt des Schweizer Architekten Hanns Anton Brütsch als Sieger hervorging. Für die Schwestern jedoch erfüllte dieses Siegerprojekt so gar nicht ihre Vorstellungen von einer Architektur, die auch ihrer Spiritualität entsprach. Deshalb suchten sie nach einer anderen Lösung und wurden fündig beim ungarisch-stämmigen Breuer, der in New York zum Star der Szene geworden war.

Von Harvard nach New York

Interessanterweise nimmt man Breuer in Europa als einen der bedeutendsten Möbeldesigner des 20. Jahrhunderts wahr, in den USA hingegen sieht man ihn vorwiegend als einflussreichen und stilbildenden Architekten. Allseits bekannt dürfte sein Stahlrohrsessel sein, der sich bis heute in unzähligen Kopien immer noch in Büros und Wohnräumen auf der ganzen Welt findet. Er dozierte bis 1946 an der Harvard University, machte sich dann aber in New York selbstständig. Neben den zumeist luxuriösen Wohnhäusern realisierte er auch mehrere Grossprojekte, so etwa das Whitney Museum of American Art oder die Erweiterung des Cleveland Museum of Art oder auch den Unesco-Hauptsitz in Paris.

Zu seinem Schaffen zählen auch zahlreiche Sakralbauten, wie etwa die Kirche Saint John's Abbey in Minnesota. Als Breuer in den 1960er-Jahren einen Hotelkomplex für das Skiresort La Flaine in den Hochsavoyen entwerfen sollte, soll er gesagt haben: «Was für eine wunderschöne Landschaft! Wie vermeiden wir es, sie zu ruinieren?» Ob die Ordensschwestern im Seetal von dieser Aussage wussten, ist nicht überliefert, doch sein vom Bauhaus geprägter Stil, seine Herangehensweise und seine Visionen haben wohl die letzten Zweifel ausgeräumt. Er bekam den Auftrag, das Mutterhaus für das 1830 gegründete Kloster zu bauen.

Schwester Martine erinnert sich, dass Breuer insgesamt vier Mal aus New York ins Seetal angereist sei, um den Bau zu überwachen. Sein Assistent, der Berner Beat Jordi, zeichnete die Pläne und sorgte für die Kommunikation zwischen der Schweiz und dem Büro in New York. Reibungsfrei verlief die Arbeit aber nicht. So erinnert sich Schwester Martine an zahlreiche Diskussionen unter den Beteiligten, so auch zwischen Breuer und seinem Assistenten Jordi. «Am Ende hat Herr Jordi auch auf uns gehört, obschon er Protestant war», scherzte Schwester Martine. Zu reden gab vor allem die Materialwahl. So wurden zum Beispiel für Fensterrahmen oder Tische tropische Hölzer verwendet. Allerdings, gibt Schwester Marie-Ruth zu bedenken, habe es damals einfach keinen Markt für Schweizer Holz gegeben: «Tanne war so ziemlich das Einzige, was in genügender Menge zur Verfügung stand.»

Weitsicht bei der Materialwahl

Auch der Schieferboden wurde als unpraktisch und zu teuer angesehen. Jedoch – hielt Breuer dagegen – halten gute Fliesen, je nach Material und Verlegung, mindestens 30 Jahre. In der Praxis sieht man bei sehr alten Häusern aber oft, dass Fliesenbeläge auch nach 70 oder 100 Jahren noch völlig intakt sind. Und in der Tat sieht man dem Boden im Mutterhaus sein Alter kaum an. Breuer habe eben langfristig gedacht, erklärt Schwester Martine. Heute zeige sich, dass er damit recht gehabt habe. Mit viel Humor schildern die Ordensschwestern, wie sehr sie sich damals auf die neuen Räumlichkeiten freuten, schliesslich war der Schlafsaal im Stammhaus mit 40 Betten völlig überbelegt gewesen.

Bestechende Architektur

Auf einem kleinen Rundgang weisen Gabriela Christen und Schwester Martine auf viele Details, die so typisch sind für Breuers Stil. «Die Architektur von Marcel Breuer besticht mit ihren prägnanten Volumen, der sorgfältigen Beton- und Steingestaltung», so Christen. Die heute noch modern wirkende und von Licht durchflutete Kapelle überrascht mit ihren radikalen Formen. Auch die Gestaltung und Ausstattung im Inneren mit den Möbeln von Marcel Breuer und Beat Jordi wirken irgendwie zeitlos.

Eine andere Frage ist, wie ein Haus, das für rund 1000 Schwestern konzipiert war, heute und in Zukunft genutzt wird. Eine Frage, die sich auch die Klostergemeinschaft stellt. Im Kloster Baldegg leben heute noch rund 180 Schwestern in einer franziskanischen Ordensgemeinschaft. Novizinnen aufzunehmen wäre kaum zu bewältigen, weil die personellen Ressourcen fehlen. Andererseits suchen gerade in der heutigen Zeit mehr Menschen nach einem Sinn im Leben als je zuvor. «Wie können wir Menschen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens aus der heutigen Gesellschaft ansprechen und ihnen etwas bieten, ohne dass sie in den Orden eintreten müssen?», fragen sich die Schwestern, deren Durchschnittsalter bei rund 80 Jahren liegt.

Herausforderung Zukunft

Gabriela Christen ergänzt: Die Ordensschwestern seien spezialisiert im Aufbau von Gemeinschaften und hätten auf diesem Gebiet viel zu bieten. Rund 80 Prozent der Menschheit bezeichneten sich als spirituell. Aus der franziskanischen Tradition gebe es da ganz viele Anknüpfungspunkte. Der Umgang mit Umwelt und Schöpfung sei heute aktueller denn je, sagt Sr. Marie-Ruth. Stichworte sind die Klimakrise, die fortschreitende Zerstörung unserer Ressourcen durch Krieg und Profitdenken. Das Kloster hatte stets eine grosse Bedeutung für die Mädchen- und Frauenbildung im Kanton Luzern und darüber hinaus. Man sei jeweils seiner Zeit voraus gewesen, so seien unter anderem Schulen, Spitäler, Pflegeheime, Ausbildung für Krankenpflege und Behindertenpflege entstanden. Aufgaben, die heute vom Staat erbracht werden. «Wir beschäftigen uns laufend mit der Frage, welche Bedürfnisse die Gesellschaft hat und was wir bieten können», führt Sr. Marie-Ruth aus und nennt ein aktuelles Beispiel: Die Baldegger Schwestern führen ein Schwerstbehindertenheim in Hurden am Zürichsee.

Gegründet wurde dieses von Priester Josef Anton Messmer. Selber durch Krankheit invalid geworden, wollte er für andere behinderte Menschen einen Lebensort schaffen. In Hurden kaufte er 1937 den Gasthof «Engel», und im Kloster Baldegg im Luzerner Seetal konnte er Schwestern für seine Idee begeistern. Seither wirken Baldegger Schwestern im Heim St. Antonius und sorgen mit vielen engagierten Mitarbeitenden für Menschen, denen eine Behinderung den eigenständigen Lebensalltag verunmöglicht. Um der Idee von Pfarrer Messmer Zukunft zu sichern, errichtete das Kloster Baldegg 1944 die St.-Antonius-Stiftung Hochdorf-Baldegg.

Transformation angestossen

Der Stiftungszweck wird heute zum grossen Teil vom Staat wahrgenommen. Daher hat sich die St.-Antonius- Stiftung entschlossen, in Hurden ein Sterbehospiz zu realisieren. Die Idee eines Hospizes wurde sehr stark von den Schwestern von Baldegg in die Diskussion hineingetragen.

Das Kloster Baldegg hat sich entschieden, einen Strategie- und Transformationsprozess einzuleiten. Dieser betrifft sowohl die betriebliche als auch die klösterliche Ebene und umfasst sämtliche Aktivitäten und Infrastrukturen des Klosters. Zusammen mit externen Partnern wie der Hochschule Luzern wird Baldegg ein neues Kapitel in seiner bald 200-jährigen Geschichte aufschlagen und das Erbe der Klöster für die Zukunft lebendig halten. Ziel des Prozesses ist es, in der Tradition der Baldegger Schwestern Formen der Gemeinschaft, des Umgangs mit der Natur, der Bildung und der Spiritualität aufzugreifen, die notwendig sind, um in Zeiten des Wandels einen Raum zu schaffen, wo die Zukunft gedacht und erarbeitet werden kann.

Zentrales Element dieses Strategieprozesses ist auch das Kloster Baldegg von Marcel Breuer selber. Zusammen mit der Hochschule Luzern (HSLU) wird die Geschichte dieses Klosterbaus aufgearbeitet und in eine Publikation münden. Diese nimmt den Bau, seine Bewohnerinnen und Perspektiven von aussen auf das Kloster in den Blick.

 

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