Der «nostalgische Seethalzug» fährt ein
Das waren noch Zeiten, als die «Schweizerische Seethalbahn» in ihrem Dampfzug 1903 einen Speisewagen mitführte und nach der Elektrifizierung 1910 drei Jahre später mit Schnellzügen unterwegs war. «Man sitzt in einem lauschigen Eckchen, ein Klapptischchen steht zur Verfügung. Man spielt mit einem kleinen weissen Knopf an der Wand – und in zwei Minuten ist das Tischlein gedeckt», schwärmte der Reporter des «Hochdorfer Anzeigers» 1903.
Für heutige Eisenbahnenthusiasten ein Traum, der bald einmal Wirklichkeit werden könnte. Der Verein «Historische Seethalbahn» revidiert in der eigenen Remise in Hochdorf zwei alte Personenwaggons aus den 50er-Jahren. Laut Vereinspräsident Marcel Anderhub wird es nahezu einzigartig sein, dass ein gesamter historischer Zug auf der Originalstrecke zum Einsatz kommen kann. Das Projekt «Seethalbahnzug 1950» mit einer sechsjährigen Realisierungszeit kostet über 200 000 Franken und erfordert weit mehr als 2000 Frondienststunden. Das Zugfahrzeug, das legendäre und weltweit einzigartige «Seetalkrokodil» aus dem Jahr 1926, das 1983 auf der Seetalbahnstrecke ausrangiert worden war, ist seit seiner umfassenden Revision 2008 fahrbereit.
Mehr als eine Herzensangelegenheit
Für Peter Eichenberger, Projektleiter Wagensanierung und pensionierter Lokführer aus Beinwil am See, ist die Instandstellung der beiden Personenwagen für den «Seethalbahnzug 1950» mehr als eine Herzensangelegenheit. Für den harten Kern von über 200 Vereinsmitgliedern ist die Remise in Hochdorf nicht nur Beschäftigungsort und Treffpunkt zugleich, sondern auch eine zweite Heimat geworden. Da schlägt jedes Bähnlerherz höher, wenn im denkmalgeschützten Gebäude fast in jedem Augenwinkel eine Trouvaille zu sehen ist. Seien es die Dampflokomotiven E 3/3 3 «Beinwyl» aus dem Jahr 1882 oder E 3/3 Nr. 456 ex NOB von 1894, oder das 14 Meter lange und 73 Tonnen schwere Seetalkrokodil, die Rangierlok Ee 3/3 16383 oder der nostalgische Schienentraktor TMl Nr. 465.
«ABi 4415», einer der beiden ursprünglichen Personenwagen, war von 1950 bis 1967 im Seetal im Einsatz. 1974 wurde er an die Rorschach-Heiden-Bergbahn verkauft und 1999 vom Verein «Historische Seethalbahn», der seit 1995 besteht, übernommen. Nach gründlicher Innenrenovation konnte er zwei Jahre darauf in Betrieb genommen werden. In zwei Abteilen verfügt er insgesamt über 64 Sitzplätze an Vierertischchen. Diese lassen sich auch zur Konferenzbestuhlung umstellen. «Bi 7714», der zweite der 70-jährigen Personenwagen, wird seit dem Kauf 2016 umfassend saniert. Ein sehr aufwendiges, anspruchsvolles und auch kostenintensives Unterfangen. «Zuerst musste das Spritzasbest von einer Spezialfirma für rund 40 000 Franken entfernt werden», erklärt Peter Eichenberger. Weiter folgte der komplette Innenausbau von der Grundierung, dem Einbau des Holzrostes bis zur Abdeckung. Bereits sind die roten und grünen Sitzbänke im ehemaligen Raucher- und Nichtraucherabteil zum Teil montiert. Das WC-Abteil lässt sich auch bald wieder sehen, obwohl insgesamt die originale Materialbeschaffung recht schwierig ist. «Hie und da müssen wir benötigte Teile für die Wagen mit den offenen Plattformen selbst herstellen», fügt der Beinwiler an. Selbst 3D-Drucker kommen, wie etwa für neue Kunststoffarmlehnen, zum Einsatz. «Wer sucht, der findet», heisst dabei die Devise.
Bis in den Sommer hinein stehen beide Wagenkästen auf Hebeböcken, denn die Revision der Drehgestelle ist am Laufen. Bei einer Ultraschalluntersuchung der Achsen wurde eine zu grosse Abnutzung festgestellt. «Die Hoffnung, im September die fünfjährigen Arbeiten mit der Neulackierung der Wagenhüllen abschliessen zu können, ist damit verflogen», bedauert der Projektleiter. Ob für die Achsen noch Ersatz zu finden ist, steht in den Sternen. Neue anfertigen zu lassen, ist sehr teuer. Und wie schon oft sind dann Sponsoren gesucht.
Kulturgut soll öfters auf Achse sein
Das Bundesamt für Verkehr prüft jedes Jahr die einsatzfähigen Fahrzeuge des Vereins «Historische Seethalbahn» und stellt Betriebsbewilligungen aus. Pandemiebedingt waren aber seit über einem Jahr keine Ausfahrten mehr möglich. Hoffentlich kann das diesjährige Remisenfest mit allerlei Attraktionen und Fahrten am 5./6. September aber stattfinden. Die «Historische Seethalbahn» als offizielles Bahnunternehmen möchte weiterhin in der Zukunft kein Museum sein. Das Kulturgut soll öfters auf Achse sein und Jung und Alt erfreuen. Sechs ausgebildete Lokführerinnen und -führer, dazu Heizer mitsamt Zugpersonal und Mechaniker stehen dazu bereit. Und selbst walisische Kohle wurde angeschafft, um sauberer durchs Seetal zu dampfen. «Hoffentlich baut aber die SBB nicht immer mehr Weichen auf dem Seetaler Streckennetz aus, sodass wir wenigstens von Baldegg bis Luzern mit unseren Dampfloks unterwegs sein können», sagt Eichenberger mit einem Augenzwinkern. Der zukünftige Seetalbahnzug der 50er-Jahre hätte dann aber ein grösseres Streckennetz zur Verfügung. Ideal wäre, wenn das Seetalkrokodil seine Geschwindigkeit um zehn auf fünfzig Kilometer pro Stunde erhöhen könnte.
Mit Eifer und Innovationsgeist ist auch Christian Frank, pensionierter Bauschlosser, seit sieben Jahren im Verein: «Immer mal was Neues gefällt mir bei der Sanierung der Wagen. Ich schätze dabei die Kollegschaft, die gut harmoniert.» Gekonnt montiert er ein Abdeckungsblech unterhalb des Wagenkastens. Mit rund 15 Aktiven gehört er zum harten Kern, der mehrmals in der Woche in Kleingruppen die Arbeiten in der Remise in Hochdorf vorantreibt. Sind die ersehnten Achsen da, ist das Drehgestell montiert, wird der Innenausbau samt Aussenanstrich zügig realisiert werden. Und wie wärs dann mit einer Fahrt im «Schnellzug mit Speisewagen» wie anno dazumal durchs prächtige Seetal?
von René Fuchs
Hinweis
Verein Historische Seethalbahn, Hochdorf
www.historische-seethalbahn.ch
Dieser Artikel erschien als Erstabdruck im «Wynentaler Blatt».
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