Die Magie der Farben
Benno K. Zehnders Atelier im dritten Geschoss in der «Alte Cherzi» ist gross und von Tageslicht durchflutet. An den Wänden und auf Staffeleien befinden sich seine Bilder. Gross, farblich intensiv, eindringlich. An einigen arbeitet der Künstler gerade, andere sind scheinbar fertig. Er überarbeitet «beendete» Gemälde immer wieder. Erst wenn sie sich nicht mehr im Atelier befinden, seien sie vor ihm sicher, sagt er.
Am 2. Mai feierte Benno K. Zehnder den 80. Geburtstag – nach der Rückkehr aus den Niederlanden, wo seine Frau und er die Tochter und die neu geborene Enkelin besucht hatten, in Quarantäne. «Ich hatte aber den Eindruck, das Feiern im kleinsten Rahmen war passend», sagt er und lacht. Er habe mit seiner Familie in den Niederlanden ein freudiges Ereignis feiern können, und den «Preis» gerne bezahlt. Ob die Pandemie seine Kunst verändert hat? «Meine Bilder beginnen immer bei null. Ich weiss nie, wohin mich das Malen führt, ich lasse alles zu.» Es sei möglich, dass die Pandemie unbewusst einen Einfluss auf seine Arbeit habe.
Ein 16 Jahre währendes Projekt
Benno K. Zehnders Bilder zeichnen sich durch die intensive, kräftige Farbgebung aus. Farben – und Licht – sind für ihn eine Obsession. Ohne Licht gibt es keine Farben. Der Einfluss von Farben auf den Menschen ist enorm. So entwickelt er auch Farbkonzepte für Gebäude, sowohl für Innenräume als auch Fassaden. Dabei geht es nicht darum, Bilder oder Wandgemälde zu schaffen, sondern die Räume, und nicht einzelne Bauteile wie Säulen oder Fensterrahmen, farbig zu gestalten. Die Menschen, die sich darin aufhalten, betrachten nicht die einzelnen Farben, sondern stehen in der Farbe, in einem Farb-Raum. Benno K. Zehnders Farbarchitektur, wie er es nennt, geht viel weiter: Seine Farb-Räume sollen Emotionen erzeugen, ein gutes Gefühl vermitteln, dafür sorgen, dass die Menschen dort Wärme spüren und sich aufgehoben fühlen.
Das Farbkonzept, das im Spital Schwyz verwirklicht wurde, ist sein grösstes Projekt; es wurde im Buch «Architektur Farbe Licht. Die Kunst von Benno K. Zehnder im Spital Schwyz» dokumentiert. Während 16 Jahren, von 2002 bis 2018, gestaltete er die halböffentlich zugänglichen Räume im Zuge der Erneuerung und Erweiterung des Spitals. In den Patientenzimmern sind die Wände, an denen auf grossformatige Leinwände gedruckte Landschaftsfotos hängen, in einem farbigen Grauton gehalten, der als weiss wahrgenommen wird.
Im Auge des Betrachters
«Begonnen hat alles mit dem sogenannten Ärztegang», sagt Benno K. Zehnder. Ein sehr langer Gang ohne jegliches Tageslicht in einem Spitalgebäude aus den 1970er-Jahren. Links und rechts Türen zu den Praxen der Belegsärzte. «Ich musste Licht in diesen Teil des Gebäudes bringen und das Licht neu denken.» Zunächst fertigte er ein Modell des Ganges mit der entsprechenden Farbgebung an. Helle, leichte Farben, die an den Süden erinnern und sofort die Laune des Betrachters heben. «Schwyz liegt am Meer» lautet der Titel des Hitzkircher Autors Erwin Koch zu seinem Beitrag im Buch über Benno K. Zehnders Farbarchitektur im Spital Schwyz. «Mehrmals, sagt der Mann, sei er nun im Spital Schwyz gewesen und habe sich dort, obwohl niemand gern ins Spital gehe, seltsam wohlgefühlt. Und lange nicht gemerkt, weshalb. Bis ihm, durch einen Gang gehend, erleuchtet nur von einer dünnen Schiene aus künstlichem Licht, die Farben aufgefallen seien, die den Flur beleben, helle leise Farben, Gelb, Grün, Rosa, die eine im Widerschein der anderen.»
Erwin Koch bringt die Intention des Künstlers auf den Punkt. Die Farben mischen sich im Auge der Menschen, die durch diesen Gang schreiten. Benno K. Zehnder nennt sie «Erscheinungsfarben». Sie sind nicht gemalt, existieren nicht in der Realität, jedes Individuum nimmt sie anders wahr. «Farben strahlen ab, sie treten mit anderen Farben in Kommunikation», sagt er. Diesen Effekt erreicht er, indem alle Farben gleich hell sind. Der damalige Spitaldirektor, Thomas Aeschmann, wähnte sich «mitten in einem dezenten Farbenmeer», wie er in seinem Buchbeitrag schreibt.
Allen Farben dieselbe Helligkeit zu geben sei schwierig, vor allem wenn zum Beispiel gelb und blau gleich hell sein müssten, sagt der Künstler. Wenn dies aber erreicht sei, spiele es keine grosse Rolle mehr, welche Farben zusammen seien, da sie sich ja im Auge des Betrachters mischten. «Farben sind magisch und haben eine unglaubliche Kraft.» Je nachdem in welche Richtung man sich in einem solchen Raum bewege, würden andere Farben, Eindrücke und Emotionen entstehen. Dieser Vorgang des Farbenerlebens beinhalte nebst anderen vor allem das Thema Veränderung, sagt Benno K. Zehnder. «Gerade in einem Spital ist Veränderung ein wichtiges Thema.»
Mitten im Kunstwerk
Dass Farben einen grossen Einfluss auf die menschliche Psyche haben, ist alles andere als neu. Benno K. Zehnders Farbkonzepte aber stechen hervor, weil er von einem künstlerischen Ansatz ausgeht. Er mache mit seiner Farbarchitektur «Kunst Alltag und für den Alltag». Die Personen, die sich in einem solch farbigen Raum aufhalten, also die Betrachter, befinden sich inmitten der Farben, sind Teil des Kunstwerks. Gleichzeitig wird ihre Psyche positiv beeinflusst, und sie fühlen sich wohl und geborgen. Von der «Schönheit als Heilsamkeit» schreibt die Kulturwissenschaftlern Silvia Henke.
Interessant wäre nun zu untersuchen, ob und wie die Farbgestaltung auf Patientinnen und Patienten, Besucherinnen und Besucher sowie auf Mitarbeitende des Spitals Schwyz wirkt. Bei einem positiven Resultat würden sich vielleicht die Verantwortlichen anderer Spitäler sowie weiterer Institutionen, wie zum Beispiel Betagtenheime, eher mit nicht alltäglichen Farbkonzepten auseinandersetzen. «Das Interesse der Verantwortlichen ist kaum vorhanden», sagt Benno K. Zehnder, der das Buch verschiedenen Institutionen zukommen liess. Thomas Aeschmann schreibt darin: «Obwohl über das neue Farbkonzept in den in- und ausländischen Medien berichtet wurde, und es nur Bewunderung erfuhr, verharrt eine überwiegende Anzahl der Spitäler bezüglich Gestaltung noch immer in den gleichen alten Gestaltungsmustern – weisse Wände mit nichtssagenden Bildern oder Korridore in unterschiedlichen Farben.» Fast scheint es, dass eine Angst vor Farbigkeit besteht. Vielleicht weil das «Prinzip der Erscheinungsfarben» zu wenig verstanden wird?
«Wir halten unsere Wahrnehmung für die Realität»
Für Benno K. Zehnder geht nichts über natürliches Licht. Es verändert sich ständig. Jahreszeiten, Tageszeiten, Wetter – nie herrschen zweimal die selben Lichtverhältnisse. Seine Bilder entstehen ausschliesslich bei Tageslicht, «damit alle Bilder immer die gleiche Farbigkeit haben».
Ein Tafelbild sei immer ein Fenster in eine andere Welt. «Weil es hier um den Blick geht, kann ich ihn im Bild bewusst leiten. Ich kann hinein- oder herausschauen.» Die Menschen würden in ihr Hirn, nicht in die Aussenwelt schauen. «Eigentlich wissen wir nicht, wie unsere Welt aussieht. Wir schauen in uns hinein und glauben unserer Wahrnehmung, halten sie für die Realität. Das finde ich interessant. Wenn ich ein Tafelbild male, kehre ich also das Hineinschauen nach aussen, damit jemand anderer wieder hineinschauen kann.»
Eine Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag plant Benno K. Zehnder nicht. Er spielt aber mit dem Gedanken, im Sommer seine Bilder auf dem Areal der «Alte Cherzi» oder in Gelfingen auf eine geeignete Gebäudewand zu projizieren. «Als Geschenk an alle.»
von Manuela Mezzetta
Hinweis:
Krankenhausgesellschaft Schwyz (Hg.): Architektur Farbe Licht. Die Kunst von Benno K. Zehnder im Spital Schwyz, Vexer Verlag, St. Gallen, 2018, 190 Seiten, ISBN 978-3-907112-04-5. www.farbarchitektur.com
Zur Person
Benno K. Zehnder wurde am 2. Mai 1941 in Wettingen geboren. Von 1959 bis 1964 besuchte er die Kunstgewerbeschule Luzern, anschliessend hielt er sich bis 1970 in London auf und war am Goldsmith College für Malerei und Kunstgeschichte. Er hatte sein eigenes Atelier und gestaltete Ausstellungen unter anderem für das Swiss Centre, das Design Centre, die Royal Academy sowie die City of Worcester. In den Jahren von 1970 bis 1973 war er am City of Birmingham Polytechnic als Dozent und Leiter des Master-Studiums in Film-Animation tätig. Von 1973 bis 1981 war er Head of Department of Visual Communication der ehemaligen Bath Academy of Art in Corsham/Wiltshire.
1981 kehrte Benno K. Zehnder in die Schweiz zurück und war bis 1997 Direktor der Höheren Schule für Gestaltung in Luzern. 1997 überführte er die Schule in die Hochschule Luzern – Design & Kunst. Anschliessend war er dort bis 2006 Professor. Er war auch Mitglied in verschiedenen Kommissionen, unter anderem war er von 1984 bis 1990 im Vorstand und in der Ankaufskommission des Kunstmuseums Luzern und von 1984 bis 1996 in der Eidgenössischen Kommission für Gestaltung. mm
Newsletter
Melden Sie sich hier kostenlos für unseren Newsletter an und erhalten Sie die neusten Nachrichten aus der Region Willisau, dem Wiggertal, dem Kanton Luzern und Sport regelmässig am Morgen in Ihr E-Mail-Postfach.
Anmelden
Kommentieren & mitreden
Sie wollen diesen Artikel kommentieren? Kommentieren Sie sachlich, respektvoll. Wir freuen uns.
Hier registrieren und vollen Zugang erhaltenSie haben bereits ein Konto ?
Zur Anmeldung