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Seetal | Hochdorf

Lesen kann ich nur in meiner Freizeit

Vor zehn Jahren hat Martina Küng (35) an der Baldeggstrasse einen Buchladen eröffnet. Dass sie solange durchhält, hat anfangs niemand erwartet. Heute ist der «Buechlade» nicht mehr weg­zudenken und bereits besuchen Kunden und Kundinnen der zweiten Generation das heimelige Lokal. Mit ­ihrer individuellen Beratung und ihren Geschenkideen hat Martina Küng ins Schwarze getroffen.

Werner Rolli

Am Anfang habe man sie nicht ernst genommen, erinnert sich Martina Küng: «Egal ob beim Banktermin oder an Messen, stets wurde meine Mutter angesprochen. Das lag natürlich auch an meinem Alter – ich war gerade erst 25 Jahre alt.» Maximal fünf Jahre, so erinnert sie sich, habe man ihrem Buchladen gegeben. In der Tat gab es schwierige Momente: «Kaum hatte ich den Laden eröffnet, wurde auf der Strasse gebaut. Dann kamen die Lockdowns und aktuell sind es die Teuerung und der Krieg in der Ukraine, die auf die Stimmung drücken.»

 

Ihre bisher grösste Genugtuung war die Nomination zur Schweizer Buchhändlerin des Jahres. Da war die Buchhandlung gerade einmal vier Jahre alt. Am Ende hat zwar eine alteingesessene Buchhandlung den Preis gewonnen, aber die Reaktionen waren so positiv. Ihre Ausbildung hat sie in Olten absolviert, in der Buchhandlung Klosterplatz. Was hat sie dazu bewegt, Buchhändlerin zu werden? «Eigentlich wollte ich ursprünglich Kindergärtnerin werden, aber zu dieser Zeit hat der Kanton Solothurn ein Pilotprojekt gestartet, das eine völlig neue Organisation von Kindergarten und Unterstufen vorsah», erklärt Martina Küng. Zwar wäre eine Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule mit einem Bachelor möglich gewesen. Das Problem dabei: würde die neue Ausbildung von anderen Kantonen anerkannt? Nach einem Zwischenjahr wurde ihr klar, dass sie Buchhändlerin werden wollte.

Aufgewachsen in Dulliken, war doch Hochdorf immer ihre Heimat. Ihre Eltern sind hier aufgewachsen, jedoch in jungen Jahren weggezogen. Aber die Besuche bei ihren Grosseltern und den anderen Verwandten im Luzerner Seetal blieben ihr in bester Erinnerung. Deshalb habe ich auch nicht lange gezögert, wieder hierher zu ziehen: «Das Seetal ist eine Superkombination aus allem, was mir in Dulliken und in Amriswil gefällt. Ich würde mich in einem touristischen Ort nicht so wohl fühlen».

Vom Traumjob zur Selbstständigkeit

Eigentlich hatte sie in Amriswil ihren Traumjob gefunden, hätte nach der Pensionierung ihrer Chefin das Geschäft auch übernehmen können, doch: «Das war keine Option für mich, fernab von einer Familie etwas aufzubauen. Das Haus wurde verkauft und so hätte das Geschäft umziehen müssen». Es sei kein Zufall, dass sie wieder in Hochdorf gelandet sei, Luzern wäre ihr wohl zu hektisch, gesteht sie. «Hochdorf ist auch nicht zu gross, es hat seinen ländlichen Charakter behalten und bietet trotzdem alles, was man braucht.» Martina Küng sagt: «Eine eigene Buchhandlung war schon immer mein Traum, und als mein Onkel Marcel Villiger mir damals den Vorschlag gemacht hat, diese in seinem Ladenlokal an der Baldeggstrasse zu eröffnen, war für mich schnell klar, dass ich in mein Heimatdorf zurückkehren werde, um den Menschen hier eine Bücherwelt zu eröffnen.» Umbauten waren gar nicht nötig, Martina Küng konnte das Inventar des Blumengeschäftes übernehmen: «Decke und Boden waren bereits renoviert von meinen Grosseltern. Ich brauchte nur Bücherregale. Die Bevölkerung hat es sehr geschätzt, dass in Hochdorf ein Buchladen eröffnet wird.»

Unabhängig bleiben

Für sie war es wichtig, unabhängig zu sein. So führt sie die Buchhandlung im Alleingang. Bis kurz vor der Eröffnung hat sie zu hundert Prozent gearbeitet. In ihrer Buchhandlung bietet sie hauptsächlich Neuheiten an. Ihr Sortiment wuchs stetig. Mit den grossen Ketten oder dem Onlinehandel kann sie platzmässig nicht mithalten. Das war aber auch nie ihre Absicht: «Meine Geheimwaffen sind mein Wissen und meine persönliche Beratung.» Kleine Verlage haben es schwer in grosse Buchhandlungen oder Onlineshops zu kommen.

Die Löhne im Buchhandel sind nicht spitzenmässig, so gilt der Beruf als klassischer Frauenberuf. Gibt es typische Männerliteratur oder Frauenbücher? Frauen sind in der Regel offener, sagt sie, Männer hingegen bevorzugen Autoren oder männliche Protagonisten. Knaben lesen kaum «Die drei !!!», Mädchen haben da weniger Berührungsängste. Die junge Generation liest wieder. Das hat auch mit den Lockdowns zu tun. Da hatten auch die Kinder plötzlich Zeit zum Lesen. Unterdessen ist es richtig «in» zu lesen – Bücher, nicht etwa E-Books.

Die beste Voraussetzung für den Beruf ist, gut mit Menschen umgehen zu können: «Ich lese gerne» genügt nicht als Motivation, es braucht auch ein breites Allgemeinwissen und den Willen dieses stetig zu erweitern. «Lesen findet bei uns in der Freizeit statt.» Welche Art von Büchern liest sie selbst gerne? «Mein Geschmack hat sich über die Jahre natürlich verändert. Mit 16, zu Beginn meiner Ausbildung, habe ich enorm viele Biografien gelesen.» Heute liest sie am liebsten Romane mit geschichtlichem und politischem Hintergrund: «Reine Sachbücher sind mir oft zu trocken», sagt sie: «Hingegen schätze ich Bücher, die mir das Zeitgeschehen, Konflikte und Ähnliches näherbringen.» Sie lese solche Sachen viel lieber aus der Perspektive eines Protagonisten, was ihr aber am Ende einen Einblick in ein fremdes Land oder eine andere Kultur ermöglicht. Ein Geschichtsstudium konnte sie sich aber nicht vorstellen. Aber selbstverständlich liest sie auch Krimis, Kinderbücher oder romantische Sommerlektüre: «Schliesslich möchte ich auch über Neuerscheinungen informiert sein. Ich geniesse heute einen guten Krimi, was ich aber kaum lesen würde, wäre ich nicht Buchhändlerin geworden.» In ihrer Freizeit wandert sie gerne, am liebsten in den Bergen, geht täglich mit ihrem Hund spazieren. Selbstständig zu sein bedeutet, dass man selten Zeit hat für sich selbst. «Lesen», sagt sie, «kann ich praktisch nur in meiner Freizeit.» Was wünschen denn die Kunden? «Persönliche Beratung», sagt sie. «Die Kunden wissen, dass ich ihren Lesegeschmack kenne und ich Bücher und Autoren vorschlagen kann, die ihren individuellen Geschmack treffen.» Von E-Books hält sie nicht viel: «Ich verkaufe keine E-Books und lese auch keine. Bei mir gibt es nur physische Bücher. «Ich verkaufe auch Taschenbücher und Klappbroschüren. Zwar erhalten wir viele Bücher vorab in elektronischer Form, doch meist fehlt mir die Zeit, diese dann bereits zu lesen. Ich lese das Buch halt dann, wenn es in gebundener Form vorliegt.» Das habe auch den Vorteil, dass ihr die Handlung des Buches noch präsent sei: «Würde ich es schon Monate im Voraus auf einem Reader lesen, hätte ich den Inhalt beim Erscheinen des Buches schon wieder vergessen. Ich möchte meine Begeisterung ja auch frisch teilen, sie nicht monatelang auf Eis legen.»

Wie schafft sie es, den Lesegeschmack ihrer Kunden so gut zu kennen? «Über die Jahre lernt man seine Kundschaft kennen», sagt sie. «Manchmal muss ich auch einfach fragen, welche Bücher jemand gerne gelesen hat. Ich glaube aber schon, dass ich auch einfach ein ‹Gspüri› habe für Menschen, sie recht gut einschätzen kann. Ich könnte ja einfach das neueste Buch des Lieblingsautoren empfehlen, doch oft schlage ich Autoren vor, von denen ich überzeugt bin: Wenn jemand gerne Bücher mag von Nicolas Sparks («Im Traum bin ich bei dir» «Bis zum letzten Tag»), dann gefällt der Person wahrscheinlich auch Jodi Picoult.» Das Literatur-Abo soll helfen, Neues zu entdecken. Auch die Feedbacks sind sehr wertvoll: «Die Idee ist aber doch, dass man sich überraschen lässt. Und solche, persönliche Feedbacks sind mir mehr wert als Likes auf Social-Media-Kanälen.»

Jubiläum naht

Bald feiert der «Buechlade» seinen zehnten Geburtstag. Ende Oktober kommt Hochdorf deshalb in den Genuss eines kleinen, aber feinen Literaturfestivals mit fünf Lesungen verteilt über fünf Tage. Dabei werden auch bekannte Namen, aber vor allem Zentralschweizer Autoren anwesend sein. Die Lesungen finden im Obergeschoss der Buchhandlung statt. Beim Apéro signieren die Autorinnen und Autoren im Laden ihre Werke.

Schicksalhafte Strasse

Es ist keine Seltenheit, dass ein Buch seinen Leser zu einer Reise animiert, oder dass jemand auf einer Reise ein Buch findet, das die Reise schliesslich in einem neuen Licht erscheinen lässt. So hat Martina Küng viel über Sarajevo gelesen, dass sie diese Stadt einfach sehen musste. «Die Rosen von Sarajevo – Eine Geschichte vom Krieg» der US-Journalistin Barbara Demick war so ein Buch. «Das schönste Wort der Welt» von Margaret Mazzantini wurde unter dem Titel «Twice Born –was vom Leben übrigbleibt» verfilmt mit Penélope Cruz in der Hauptrolle.

In beiden Büchern geht es um den Bosnienkrieg und im Speziellen die Belagerung von Sarajevo. Während Demick, die von 1993 bis 1997 Osteuropakorrespondentin für den Philadelphia Inquirer war, im Buch ihre eigenen Erlebnisse verarbeitet hat, basiert «Twice Born» ebenfalls auf wahren Begebenheiten. «Ich bin mit vielen Kindern aus dem ehemaligen Jugoslawien zur Schule gegangen: «Aber über ihre Geschichte wusste ich gar nichts.» Für Martina Küng war klar, dass sie die Ulica Logavina sehen wollte.

Am Ende der Strasse, an der Ecke zur Mula Mustafe Bašeskije befindet sich die Snackbar mit dem Namen «C'est la vie». Diese Strassenecke gehört zu den ersten Bildern, die Martina Küng bei ihrem Besuch in Sarajevo gemacht hat. «Das Bild habe ich an meinem ersten Tag gemacht, weil ich den Kontrast zwischen diesen ärmlichen Häusern und dem Schriftzug «C’est la vie» so lakonisch fand. Erst am letzten Tag merkte ich dann, dass das genau die Strasse ist, die ich ja unbedingt sehen wollte», erzählt sie im Gespräch mit dem «Seetaler Bote».

In einer kleinen Buchhandlung fand sie schliesslich ein Buch, das sie nicht mehr hergeben würde. Es ist den Kindern gewidmet, die während der Belagerung von Sarajevo umgekommen sind. Viele von ihnen fielen Heckenschützen zum Opfer. Seite um Seite erinnern ihre Fotos und Kurzbiografien an den Horror des Kriegs.


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