Wenn Brot auf Tortillas trifft
Bei Kälte und Schnee kamen Carmen Geiger und Camila Armenta am 14. Februar im Seetal an. Auf milde 20 Grad in Mexiko folgten Minustemperaturen in der Schweiz. Und nach dem Kälte- kam der Kulturschock. «Ihr esst immer nur Brot», sagt die 16-jährige Camila, als sie nach den Unterschieden zwischen der mexikanischen und der schweizerischen Kultur gefragt wird. Damit bringt sie die Gastschwestern Olivia Cattaneo und Julia Wicki zum Lachen.
Der Schüleraustausch kam im Rahmen einer Kooperation mit der Kantonsschule Seetal und der Schweizerischen Schule im mexikanischen Cuernavaca zustande. Die Spanischlehrerin der Kantonsschule Seetal kennt den Rektor der Schweizer Schule und organisiert jedes Jahr den Austausch. Bedingung: Möchten Schülerinnen oder Schüler ein Gastgeschwister aus Mexiko aufnehmen, müssen sie das Schwerpunktfach Spanisch besuchen. Da dieses Jahr die Nachfrage auf Schweizer Seite nicht so gross war, durften sich von den zahlreichen Interessierten in Mexiko nur die zwei Besten auf das Abenteuer Schweiz einlassen, wie die 16-jährige Carmen erklärt. Noch bis Ende Juni wohnt sie bei der Familie der 15-jährigen Julia in Inwil und Camila bei der Familie der 16-jährigen Olivia in Hitzkirch.
«Wir sind hier, um besser Deutsch zu lernen, eine andere Kultur kennenzulernen und neue Freundschaften zu knüpfen», sagt Carmen in gut verständlichem Deutsch. Die Mexikanerinnen lernen an der privaten Schweizer Schule in Mexiko seit der ersten Klasse die Deutsche Sprache. Die Schule ist an das Schweizer Schulsystem angelehnt, weshalb sich Carmen und Camila im Schulalltag auf keine grossen Veränderungen einlassen müssen.
Mehr Sicherheit – mehr Freiheiten
Punkto Schulweg hingegen gibt es Umstellungen. Coronabedingt findet der Unterricht in Cuernavaca seit einem Jahr online statt. Aber auch in normalen Zeiten ist es ihnen in Mexiko nicht möglich so selbstständig in die Schule zu gelangen, wie in der Schweiz. Camila und Carmen sind darauf angewiesen, dass sie jemand mit dem Auto fährt, obwohl sie nur wenige Minuten von der Schule entfernt wohnen. Viel zu gefährlich sei es, alleine unterwegs zu sein. «Zu Fuss laufe ich nur mit meinem Vater in die Schule», sagt Camila.
Cuernavaca liegt etwas mehr als eine Stunde Autofahrt von Mexiko-Stadt entfernt. Die Gewaltkriminalität in ganz Mexiko wird vom Schweizerischen Aussendepartement als sehr hoch eingeschätzt. In dem Land bekämpfen sich verschiedene Drogenkartelle und andere kriminelle Gruppen gegenseitig. Das führt zu einer hohen Mordrate: 2019 wurden pro Tag durchschnittlich fast 100 Menschen umgebracht. Die Corona-Pandemie verstärkt die Armut und verschärft damit die Lage zusätzlich. Insbesondere die Kriminalität und die sexuelle Gewalt gegen Frauen hat stark zugenommen. Laut dem globalen Friedensindex von 2020 steht Mexiko von 163 Ländern auf Platz 137 der sichersten Ländern, die Schweiz hingegen an zehnter Stelle.
«Wir waren alleine in Hochdorf und in Luzern unterwegs», erzählt Carmen. Obwohl sie die Schweizer als weniger spontan als ihre Landsleute wahrnehmen, geniessen Camila und Carmen hier die Freiheiten, die mit der gegebenen Sicherheit einhergehen. Insbesondere das Land mit dem Zug zu erkunden, ist für die Mexikanerinnen eine neue Erfahrung. «Innerhalb von drei Stunden kann man von einem Ende der Schweiz ans andere fahren», sagt Camila begeistert. In ihrer Heimat reisen die Mexikanerinnen hauptsächlich mit dem Auto oder dem Flugzeug.
Die Schweiz entdecken
Julia und Olivia ist es wichtig, ihren Gastschwestern trotz Pandemie so viel wie möglich von der Schweiz zu zeigen. «In den Osterferien haben wir deshalb viele Ausflüge gemacht», erzählt Olivia. Einige Orte, wie der Rheinfall, waren selbst für sie neu. Camila und Carmen lernten Luzern, Lausanne, Zürich oder das Tessin kennen. «Wenn wir unterwegs waren, haben wir immer Rivella gekauft», erzählt Julia. Und welche Stadt hat den Mexikanerinnen am besten gefallen? «Luzern war schon sehr schön», sagt Carmen. «Aber eigentlich hat mir alles sehr gut gefallen.» Camila stimmt ihr zu. «Die Landschaft in der Schweiz ist einfach unglaublich.» Am Morgen aufzuwachen und die schneebedeckten Berge zu sehen, ist für die beiden Mexikanerinnen etwas Besonderes. «Bei uns ist es auch schön, einfach anders», sagt Carmen.
Abenteuer Mexiko
Diese andere Landschaft werden Olivia und Julia bald mit eigenen Augen sehen. Ende Juni reisen sie gemeinsam mit Camila und Carmen nach Mexiko und lernen dort ihre Familien kennen. Die jungen Frauen werden dann für etwas mehr als drei Monate ihre Rollen tauschen: Aus Gastgeberinnen werden Austauschschülerinnen und umgekehrt.
Die Mexikanerinnen wissen bereits, was sie Julia und Olivia zeigen wollen: Das mexikanische Essen und die Kultur ihres Heimatlandes. Ein Muss: Mit verbundenen Augen auf eine Piñata einschlagen. Das ist eine mit Süssigkeiten gefüllte, in der Luft hängende Tüte, welche in Mexiko hauptsächlich an Geburtstagen zur Tradition gehört.
Die beiden Schweizerinnen freuen sich auf ihre Reise – trotz Pandemie. Mexiko hat seit ein paar Monaten weniger Ansteckungen pro 100 000 Einwohner als die Schweiz. Dafür verzeichnet das Land mit seinen rund 130 Millionen Einwohnern seit dem Ausbruch der Pandemie über 200 000 Todesfälle. In Mexiko ist das Gesundheitssystem im Vergleich zur Schweiz schlechter aufgestellt. «Es gelten zwar strengere Schutzmassnahmen, aber die Leute halten sich nicht daran», erklärt Carmen. Viele Menschen können es sich aufgrund der verbreiteten Armut auch gar nicht leisten, auf die Arbeit zu verzichten und stecken sich so an. Eine Kurzarbeitsentschädigung wie in der Schweiz gibt es in Mexiko nicht.
Julia und Olivia wollen das Beste aus der Situation machen und trotzdem so viel wie möglich von dem Land sehen. «So jung alleine in ein fremdes Land zu gehen, ist sicher eine eindrückliche Erfahrung», sagt Julia. Die Schweizerinnen können es kaum erwarten, den Kulturschock selbst zu erleben: Dann tauschen sie Brot gegen Mais-Tortillas, reisen mit dem Auto statt mit dem Zug und sprechen Spanisch statt Deutsch – zumindest meistens.
von Milena Stadelmann
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